Willkommen im Wunderland. Endlich.

Am Freiburger Siegesdenkmal beißt sich sich eine alternative Kunstszene fest - vorübergehend und legal bis zur Halskrause.

Innen ist Außen ist Drinnen ist Draußen. Das Wunderland am Freiburger Siegesdenkmal. Fotos: Kristin Melcher / Arne Bicker

von Arne Bicker

Es war einmal ein Buchclub namens Bertelsmann in der Nähe der Freiburger Innenstadt am Siegesdenkmal. Der machte dicht, zog aus, und hinterließ eine Verkaufsraumbrache, die – dank schöner, großer Schaufenster – bei einer Handvoll ausgewiesener Trockenaquariumfreunde prickelnde Lust erweckte, Fischen gleich selbst einzuziehen. Das besitzende Bauunternehmen samt Maklerfortsatz stimmte dem Ansinnen nach einigem Hin und Her zu, so dass sich hier seit dem 7. April die Künstlergruppe „Wunderland Kollektiv“ breitmachen darf.

Als Galerie ihrer selbst laden die nun ortsansässigen Kreativen Betrachter, Besucher  und Käufer ein – und sind dabei selbst gespannt, was passiert. „Wir haben vom Besitzer echt gute Konditionen bekommen“, lobt Boris Höpf die Umstände, die ihn und zwölf weitere Grafiker, Streetartisten, Fotografen und sonstige Licht- und Lebenskünstler an diesen Strand einer Zeitinsel namens Zwischenmiete gespült haben. Bis zum Abriss, der ab Juli Wirklichkeit werden kann, „bespielen“ Boris Höpf, der sich selbst als ‚Kommunikator‘ der Gruppe bezeichnet, und seine Mitstreiter unter dem sphärischen Decknamen „Wunderland Kollektiv“ je einen großen Erdgeschoss- und Kellerraum mit blanker Kreativität.

Dass sich dabei auch schnell mal die kreativen Nervenenden kräuseln, war nach der Schlüsselübergabe die zweite Schlüsselerfahrung der Gruppe, die ruckzuck erkennen musste, dass nicht alle Köche ihren Löffel im Kreativbrei gleich herum rühren. So reduzierte sich das kollektive Wunderland in Form einer natürlichen Verbalauslese gleich mal von 20 auf 13 aktive Teilnehmer – was der Sache an sich mangels fußballfeldgroßer Ausbreitungsflächen jedoch keinen Schaden zufügte. Dennoch wollen die Wunderlandwirte ihre Ausstellungsräume gemäß Grundverständnis auch für Gastkünstler offenhalten – und dabei allwöchentlich freitags einen neuen Ein- und Ausrichtungsplan umsetzen.

Im „Wunderland Kollektiv“ soll ergo mindestens im Wochenrhythmus an der Ausrichtung gefeilt, an Details gewerkelt und an der philosophischen Glaubensrichtung geschraubt werden. Fest steht nur, dass nichts feststeht – diesseits der Wände. Und die Köpfe der beiden ‚Kuratoren‘ Henning Luckert und Daniel „Smy“ Schmieder gelten als primäre Verortungsräume für Urknalle aller Art. Die hier entstehenden Eruptionen sind Bestandteil und Ausgangspunkte des neuen Wunderlands in der Freiburger Fastmitte.

Auf die gleiche Idee kam auch die ehemalige Freiburger Grafik- und Designschule, die in der Haslacher Straße neuerdings unter dem sperrigen Namen hKDM firmiert und um die Ecke am Friedrichsring den „Projekt- und Ausstellungsraum stilz“ als Werkschaufiliale eröffnete. Keine Frage, beide Orte können und werden sich gegenseitig befruchten, anstiften und begegnen, lauern sie doch allen Kunstsinnigen mit doppelter Sirenenwirkung auf.

„Der Streetartszene reicht es eben nicht mehr, einfach irgendein Klo anzumalen“, beleuchtet Höpf derweil eine urbane Tendenz, „die versucht jetzt auch mit ihrem Können zu überleben.“ Der Leerstand wird also nicht besetzt, sondern brav angemietet, und die Kunstwerke werden nicht nolens volens auf immobile Wände geschmettert, sondern auf bewegbare Leinwände gebannt – und nach Möglichkeit verkauft. Noch stecken Passanten nur zögernd ihre Köpfe zur sperrangelweit offen stehenden Glastür herein; junge Leute mit Spraybüchsen und Lötkolben – wer weiß schon, ob man da seines Lebens sicher ist?

Die ausgestellten Bilder sind noch nicht mit Preisen versehen, es blubbert noch keine Kaffeemaschine, und noch weiß niemand wirklich, was das alles überhaupt sein soll, alles ist Werden und Vergehen in einem. Lesungen soll es geben, irgendwann, experimentelle Musik, wahrscheinlich, eine Teilnahme an den “Invasion Kulturtagen” vom 10. bis 20. Juli, vielleicht, Workshops, zum Beispiel für Cyanthopie (muss man nicht kennen, kann man aber kennenlernen) in einer “Machs-Dir-Selbst-Woche” ab dem 5. Mai.

Noch Fragen? Schauen Sie rein und stellen Sie sie. Seien Sie Teil des Prozesses – es könnte sich lohnen.

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Wunderland – Raum für Projekte und Zeitgeist“, alter Bertelsmann, Friedrichring 1, geöffnet mindestens mittwochs, freitags und samstags, von 13 bis 23 Uhr, mutmaßlich bis zum Abriss.

Projekt- und Ausstellungsraum stilz” im ehemaligen Herdhaus Stilz, Friedrichring 3, geöffnet: Donnerstag, 17. April, ab 19.30 Uhr. Freitag, 18., bis Sonntag, 20. April, jeweils von 15 bis 18 Uhr. 

 

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