Wir haben wirklich nichts gelernt

Im Ukraine-Konflikt überschlagen sich alle Seiten mit Drohungen und Muskelspielen. Die Jahrzehnte der Analyse, wie es zu den letzten Weltkriegen kommen konnte, hat nichts genützt.

Das Säbelrasseln um die Ukraine wird immer lauter... Foto: UTR TV-Channel / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Ein Land nach dem anderen ruft seine Landsleute aus der Ukraine zurück. Die amerikanischen Geheimdienste künden eine praktisch unmittelbar bevorstehende russische Invasion in der Ukraine an. Dass eben diese Geheimdienste auchh absolut sicher waren, dass die Taliban den Kabuler Flughafen erst am 11 September, also zum Jahrestag der Anschläge von New York einnehmen würden (was tatsächlich am 15. August 2021 geschah), interessiert niemanden. Und offenbar haben alle zusammen vergessen, wie es zum I. und II. Weltkrieg gekommen war.

Das beiderseitige Säbelrasseln, die beiderseitige Propaganda, schaffen ein Klima, in dem ein Funke reicht, um das Pulverfass zum Explodieren zu bringen. Auf beiden Seiten werden Hass-, Sanktions- und militärische Phantasien zum Besten gegeben und die verängstigten Bevölkerungen werden auf das Schlimmste vorbereitet.

Das alles ist mehr als gefährlich. Denn die Frage, wer angefangen hat, gehört eher auf den Schulhof, statt in die Welt-Diplomatie. Doch scheint der Ukraine-Konflikt für alle Beteiligten ein hervorragendes Kommunikations-Thema zu sein. Macron führt seinen immer noch nicht erklärten Wahlkampf in Moskau und Kiew, Scholz versucht vergeblich, in Washington ein wenig Kontur in seine bislang ziemlich blasse Amtsführung zu bringen, Putin nutzt die Gelegenheit, um seine seit Jahrzehnten formulierte Kritik an der ständigen Osterweiterung der NATO zu platzieren und Joe Biden kann sich endlich als zupackender Staatenlenker präsentieren. Aber letztlich geht es um die Ukraine und die Menschen im Land.

Es werden Truppen von A nach B verlegt, „Manöver“ organisiert, die Propaganda ist definitiv auf Krieg gepolt, doch scheinbar will niemand wahrhaben, was ein Krieg in der Ukraine tatsächlich bedeuten würde. Die Parallelen zwischen 1914 und 2022 sind nicht von der Hand zu weisen. Denn irgendwann schlägt ein kriegerischer Diskurs in Handlungen um und ab diesem Zeitpunkt erhält die Situation eine Eigendynamik, die niemand mehr kontrollieren kann.

Die NATO, die der französische Präsident Macron vor nicht allzu langer Zeit als „hirntote Organisation“ bezeichnet hatte, ist der Zankapfel zwischen Ost und West. Und der Westen kann die ost- und zentraleuropäischen Staaten gar nicht schnell genug aufnehmen, und kümmert sich nicht darum, dass 1990 vom US-Außenminister James Baker versprochen worden war, dass es zu keiner NATO-Ostererweiterung kommen würde. Seit diesem Versprechen hat die NATO 14 neue Mitglieder aufgenommen und sich an der Grenze zu Russland eingerichtet. Man stelle sich vor, der nicht mehr existente Warschauer Pakt würde Militärbasen an der Grenze zwischen Mexiko und den USA einrichten…

Es ist Zeit, dass sich die Kriegstreiber auf allen Seiten bremsen. Die Drohungen, Ankündigungen von Sanktionen, die hektischen Truppenbewegungen, all das sind Dinge, die nicht zielführend sind. Putin und Biden müssen an den Verhandlungstisch zurück und dabei sollte auch Xi Jinping involviert werden, denn künftige Neuordnungen der Weltpolitik sind ohne China kaum vorstellbar.

Was allerdings niemand braucht, sind die eitlen Versuche europäischer Staatschef, sich wichtiger zu machen, als sie sind. Wie peinlich das sein kann, erkannte man, als Präsident Macron stolz in Kiew berichtete, er habe in Moskau einen Entspannungsprozess eingeleitet, während der Kreml zeitgleich in einer Pressemitteilung kundtat, dass nichts davon stimmen würde. Doch Macron hatte sein eigentliches Ziel erreicht: Die Kunde seiner diplomatischen Wunderwerke liefen durch die französischen Leitmedien und Macron konnte sich einmal mehr als „König Europas“ präsentieren. Das Dementi aus dem Kreml hingegen war in Frankreich praktisch kein Thema.

Wenn die Welt einen neuen Flächenbrand verhindern will, müssen die zuständigen Politiker ganz schnell zwei Gänge herunterschalten. Denn einen Krieg kann man auch herbeireden, wie uns die Geschichte deutlich zeigt.

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