„Wir handhaben das anders als andere Länder…“

Frankreichs Premierminister Jean Castex ist zufrieden. Denn er hat es geschafft, trotz des Grassierens der Virusvariante B.1.1.7. die Schulen offen zu halten. Die nun zur Drehscheibe des Virus werden können.

So wie im April 2020 sollte ein Lockdown auf den Champs-Elysée aussehen. Dieses Mal wird das deutlich belebter werden... Foto: ERIC SALARD from Paris, FRANCE / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Den „Lockdown“, der seit gestern in 16 französischen Departements gilt und rund ein Drittel der französischen Bevölkerung betrifft und der laut Präsident Emmanuel Macron gar kein Lockdown ist, verstehen nicht einmal die Bewohner der betroffenen Departements. Die verhängten Maßnahmen sind in der Tat nur schwer als „Lockdown“ zu bezeichnen und dementsprechend ist bereits jetzt klar, dass die vier Wochen der Dauer dieser Maßnahmen nicht viel bringen werden. Aber, und darauf ist Jean Castex besonders stolz, die Schulen bleiben geöffnet. Denn – „wir handhaben das anders als andere Länder“. Na dann…

Verschiedene Medien haben den nun in Kraft getretenen „Lockdown“ als „Lockdown im Freien“ bezeichnet, der von Regelungen begleitet ist, über die man sich nur wundern kann. Gültig in den Departements des Großraums Paris und der nördlich angrenzenden Region „Hauts-de-France“, die bis zur belgischen Grenze reicht und im Departement Alpes-Maritimes an der Côte d’Azur, sieht dieser Lockdown vor, dass man sich draußen frei bewegen kann (aus privaten Gründen in einem Umkreis von 10 Kilometern, zum Einkaufen von bis zu 30 Kilometern), die Geschäfte schließen wieder (bis auf Lebensmittelhändler und „essentielle“ Geschäfte, zu denen seltsamerweise auch Schokolade-Geschäfte zählen), dazu wird zur Zeitumstellung am nächsten Wochenende die abendliche und nächtliche Ausgangssperre auf 19 Uhr (statt 18 Uhr) verlegt, und die Menschen in diesen 16 betroffenen Departements dürfen ihre jeweiligen Regionen nicht verlassen. Es sei denn, sie hätten einen wichtigen Grund. Und den kann sich jeder ziemlich freihändig konstruieren. Und – die Schulen bleiben geöffnet. Das wiederholt Jean Castex wie ein Mantra, quasi als Beweis dafür, dass Frankreich die Krise viel besser managt als alle anderen. Dass die Zahlen genau das Gegenteil zeigen, fällt dabei nicht so sehr ins Gewicht.

Am Freitag, rechtzeitig vor Inkrafttreten dieses erneuten „Lockdowns“, den niemand versteht, fand das statt, was auch beim ersten „Lockdown“ im letzten Frühjahr stattfand – der Exodus aus der Hauptstadt. Wer es sich leisten konnte und/oder eine Datscha auf dem Land besitzt, verließ gestern Paris. Im ersten „Lockdown“ hatten 11 % der Bewohner des Großraums Paris rechtzeitig verlassen und dafür gesorgt, dass das Virus auch in der letzten Winkel Frankreichs vordrang. Genau das wird jetzt auch wieder passieren. Die nächsten vier Wochen werden also für die begüterten Einwohner der Hauptstadt eine Art Frühlingsurlaub im Grünen werden, für die anderen eine reine Schikane.

Emmanuel Macron hat Recht – dieser „Lockdown“ ist kein „Lockdown“, sondern reiner Aktionismus. Soll damit die Zeit überbrückt werden, bis irgendwann einmal genug Impfdosen vorhanden sind (laut Jean Castex „so Mitte April oder Mai“…)? Funktionieren wird auch dieser „Lockdown“ nicht, denn er ist löcherig wie ein Schweizer Käse – das Virus wird mit all seinen Varianten weiter zirkulieren können.

Auch in Frankreich sind inzwischen drei Viertel der Neuinfektionen dem Variant B.1.1.7. zuzuschreiben, von dem man weiß, dass es auch Kinder und Jugendliche betrifft, sowohl als „Zwischenwirt“, als auch als „Zielscheibe“. In anderen Ländern ist dies ebenfalls der Fall, nur dass man in anderen Ländern aufgrund dieser Erkenntnis die Schulen schließt, um zu verhindern, dass die Schulen zu Drehscheiben der Ausbreitung des Virus werden, in diesem Dreieck Schule-Arbeit-daheim. Aber Jean Castex ist stolz darauf, dass die Schulen offen bleiben. Warum eigentlich?

Immerhin – ein Element dieses „Lockdowns“, der gar keiner ist, funktioniert. Die Bürokratie. Das neue Ausgangsformular, das man in den betroffenen Regionen obligatorisch mit sich führen muss, besteht aus zwei klein bedruckten Seiten, deren Interpretation selbst Juristen Kopfzerbrechen bereitet. So hat dann alles seine Ordnung. Der „Lockdown“ wird zwar keinen wesentlichen Beitrag zur Entspannung des Virusgeschehens leisten, aber immerhin ist er so gut organisiert, dass wieder Hunderttausende Verstöße gegen die Regeln begehen können, die dann mit 135 € bestraft werden können. So hat dann alles seine Ordnung, und alle können die kommenden vier Wochen in aller Ruhe angehen. Die Regierung, die Bevölkerung und das Virus.

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