Wir lernen neue Wörter
„Triage“ bzw. die Auswahl des Patienten, der zuerst behandelt wird

(Von Karl-Friedrich Bopp) – Ein französischer Begriff geistert durch deutsche Krankenhäuser – „Triage“. Der Begriff hat mit französischer Lebensart oder gar Romantik leider wenig zu tun. Er handelt vielmehr von der zu treffenden Auswahl, wer bei zu vielen Covid-19-Patienten zuerst ein Beatmungsbett erhält oder einfacher ausgedrückt, welcher Covid-19-Patient eine größere Chance zum Überleben erhält.
Viele Kliniken sind wegen der Covid-19-Pandemie derzeit überlastet. Die Situation ist besonders kritisch in Sachsen, zum Beispiel in der Stadt Zittau im Landkreis Görlitz. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag Ende Dezember 2020 bei 590 je 100 000 Einwohnern. Damit ist dieser Landkreis einer des Covid-19-Hotspots in Deutschland.
In dieser viral so angespannten Lage hat der Krankenhauschef der Stadt erstmals in einem Videoforum am 15. Dezember 2020 öffentlich eingeräumt, dass in seiner Klinik „in den vergangenen Tagen schon mehrere Male die Situation war, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekam und wer nicht“. Ein klarer Fall von „Triage“.
„Triage“ bedeutet wörtlich übersetzt „Auswahl“ oder „Sichtung“. Der Begriff stammt aus der Militärmedizin. Er half in Kriegszeiten zu entscheiden, wer als Erstes behandelt wurde. Damals galt als entscheidendes Kriterium, schnell wieder fit für den Kampfeinsatz zu sein.
Die Zeiten haben sich glücklicherweise geändert. Heute werden in einer Notaufnahme diejenigen Patienten prioritär behandelt, denen es besonders schlecht geht. Auf „Triage“ wird allerdings zurückgegriffen, wenn Mangel an Zeit, Personal und Materialien Behandlungsentscheidungen erfordern, die sicherstellen sollen, dass möglichst viele Menschen überleben.
Die Meldung aus Zittau hat in Deutschland zunächst eine Schockwelle ausgelöst. Inzwischen ist allerdings die allgemeine Beschwichtigung im Gange. Insbesondere die Politik riss die Kommunikation an sich. Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen, interpretierte, dass der betroffene Klinikchef eher einen „Hilferuf“ absetzen wollte. Seine Gesundheitsministerin Petra Köpping sprang ihm bei und wollte die Äußerung als „Warnruf“ verstanden wissen. Auch die betroffene Krankenhausleitung spricht inzwischen von einem „Missverständnis“.
Ob „Hilferuf“, „Warnruf“ oder „Missverständnis“, in Deutschland ist jedenfalls die Diskussion rund um die „Triage“ entbrannt. Ist die Anzahl an Intensivbetten etwa nicht ausreichend? Können im Augenblick nicht alle Covid-19-Patienten intensivmedizinisch hinreichend versorgt werden?
Jörg Weimann, Intensivmediziner in Berlin, versuchte zu versachlichen. „Wir priorisieren im Alltag ständig, welcher Patient die oft knappen Intensivplätze als erster benötigt“, sagte er. „Das gelingt in normalen Zeiten ohne Nachteil für die Patienten – also nach einwandfreien, von allen Fachkollegen nachvollziehbaren Kriterien. In Krisenzeiten ist das womöglich anders, dann könnte selbst eine sinnvolle Reihenfolge dazu führen, dass einige Patienten nicht sofort versorgt werden können. Nur im Notfall droht Triage ……“.
Bisher ist in Deutschland „Triage“ noch in keinem Gesetz geregelt. Es gelten ethische Empfehlungen, die von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften letzten April noch einmal aktualisiert wurden. Es gilt das Mehraugen-Prinzip. Im Notfall entscheiden mehrere Ärzte und Pflegepersonal der betroffenen Intensivstation gemeinsam, welcher Patient wie und zuerst behandelt wird. Wichtigstes Kriterium für die Entscheidung ist die klinische Erfolgsaussicht. Oberstes Ziel ist und bleibt, möglichst viele Menschenleben zu retten.
Zurück nach Sachsen. Die Universitätsklinik Dresden, die die Intensiv-Versorgung in Ostsachsen koordiniert, teilte mit, dass zuletzt Patienten von Zittau nach Leipzig verlegt worden seien. Es sei davon auszugehen, dass diese Fälle in den kommenden Tagen häufiger werden. Noch gebe es in Sachsen aber freie Intensivbetten. Von einer Notfallsituation könne keine Rede sein. Na, dann ist doch alles in Ordnung, oder?
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