“Wir machen weiter mit, sind aber nicht mehr mit dabei…”

Die Europäische Union und Großbritannien haben sich geeinigt – auf den größten Schwachsinn seit Gründung der EU. Beide Seiten verbindet eines: sie haben auf ganzer Linie versagt.

In Brüssel waren sich alle einig - "den Quatsch ziehen wir bis zum bitteren Ende durch!". Foto: www.europa.eu / (c) 2018 European Parliament

(KL) – Jetzt haben sie ihn, ihren Vertragsentwurf für den „Brexit“. Und alle erklären, dass sie gut damit leben können. Geht’s noch? Die europäischen und britischen Verantwortlichen begehen gerade den gröbsten Schwachsinn seit Gründung der EU und dann tritt man vor die Presse und gibt seiner Zufriedenheit (und natürlich auch ein wenig Betroffenheit) Ausdruck? Es wird allerhöchste Zeit, dass die Europawahl kommt und wir diejenigen in den Ruhestand schicken können, die gerade dabei sind, den „europäischen Traum“ an die Wand zu fahren. Jetzt bleibt als letzte Hoffnung nur noch die Vernunft der britischen Abgeordneten, die diesem Deal zustimmen müssen und vielleicht ein „Final Say Vote“, also ein abschließendes Votum der Briten zu diesem politischen Trauerspiel. Doch wenn sich alle in diesem Dossier bisher wie Hirnverbrannte benommen haben, dann schwindet auch die Hoffnung, dass sich auf der Zielgeraden zum „Brexit“ doch noch die Vernunft durchsetzt.

Die wichtigen und vor allem strittigen Punkte wurden in diesem Entwurf elegant ausgeklammert. So wurde die Klärung des Status von Nordirland, von Gibraltar, der 3 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und der Million Briten in EU-Ländern – verschoben. Da inzwischen auf Verhandlungsebene absolute Kreativebbe herrscht, hat man eben alles einfach nach hinten verschoben. Bis 2020. Und wenn man es bis dahin nicht gebacken bekommt, dann werden noch einmal zwei Jahre drangehängt. Bis 2022. Hauptsache, Theresa May kann vor die Briten treten und ein „habemus consensum“ verkünden. Doch diesen Konsens werden die britischen Abgeordneten hoffentlich ablehnen. Es kann doch nicht sein, dass britische und europäische Politiker ein Vorhaben durchziehen, von dem sich herausgestellt hat, dass es allen, ausnahmslos allen, nur schaden wird und keinerlei anderen Vorteil bringt, als ein paar nationalistisch gesinnten britischen Hooligans das Gefühl zu geben, man sei nun nationalistischer als zuvor!

Und natürlich will das Vereinigte Königreich auch weiterhin ungehindert Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben – das ist für die britische Wirtschaft eine überlebenswichtige Frage. Dafür nimmt man in Kauf, dass man sich zwar weiterhin den Regeln dieses Binnenmarkts unterwerfen muss, allerdings nicht mehr bei Entscheidungen bezüglich dieses Binnenmarkts mit am Tisch sitzt. Was daran ein „nationaler britischer Durchbruch“ sein soll, das weiß wohl nur Theresa May alleine. Der Vertragsentwurf, den Theresa May nun den Briten verkaufen muss, könnte auch den Titel haben: „Wir machen bei denen weiter mit, aber wir sind nicht mehr dabei.“ Viel dämlicher geht es eigentlich kaum noch. Denn der Preis für diesen Nonsens ist enorm hoch – die britische Wirtschaft steht vor der Implosion und auch der zaghafte Aufschwung in der EU dürfte von den Konsequenzen des „Brexit“ gefressen werden.

Auch das Europäische Parlament muss dem Vertragswerk noch zustimmen. Und dann muss es noch in den anderen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Warum allerdings der Präsident des Europäischen Parlaments voreilig versicherte, dass es sich bei der Abstimmung im Parlament mehr oder weniger um eine Formalität handelt, ist unklar.

Doch versagt haben nicht nur die Camerons (ja, ja, es war David Cameron, der dieses Drama losgetreten hat), die Mays, die Farages, die Johnsons, nein, versagt hat auch die EU, die es nicht geschafft hat, sich den Austrittsplänen massiv entgegen zu stellen. Die EU hätte das „Brexit“-Referendum in Frage stellen können, denn wenn „Brexit“-Betreiber Nigel Farage damals am Tag nach dem Votum fröhlich im Frühstücksfernsehen erklärte, dass man den Briten vor der Abstimmung natürlich falsche Zahlen aufgetischt hatte, dann darf man auch ruhig die Gültigkeit dieses ansonsten nicht bindenden Referendums in Frage stellen. Und was hielt die EU in den zwei Jahren seit dem Referendum davon ab, eine riesige Charme-Offensive gegenüber den Briten und generell für die EU zu starten, was hielt die EU davon ab, ein „neues europäisches Projekt“ aufzusetzen, was zwar alle versprochen hatten, was aber dennoch nicht passierte?

Nun ist das britische Parlament und vielleicht am Ende das britische Volk am Zug. Vorschlag: Werft Theresa May ‘raus, organisiert ein zweites Referendum und dann vergesst den ganzen Brexit-Müll. Noch ist es nicht zu spät.

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