„Wir müssen die Bürger abholen…“

Dieser Satz darf heute in keiner Politiker-Ansprache fehlen. Eine tolle Idee – ein Fahrdienst für Menschen, die sich kein eigenes Auto leisten können? Oder was?

Hier sieht man einige Bürger, die gerne abgeholt würden... Foto: Sascha Kohlmann / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Das ist schön: Die Politiker wollen uns abholen. Dort, wo wir sind. Das ist praktisch, erfordert aber eine gewisse Logistik. Gemeint sein kann ja nur, dass wir Bürger künftig den Fahrdienst des Bundestages, der Landtage und eventuell sogar der kommunalen Verwaltungen anrufen können, wenn mal wieder die Züge nicht fahren oder wir ansonsten Probleme haben, von A nach B zu kommen.

Politisch ist diese Aussage natürlich eine Art intellektueller Offenbarungseid, denn er bedeutet nicht viel anderes, als dass die Politik so agiert, dass es nichts mit uns Bürgern zu tun hat. Dabei werden die Menschen dafür gewählt, eine Politik zu führen, die in unserem Sinne ist, was den Erklärungsbedarf für die Aktionen der Politiker eigentlich weitgehend überflüssig machen könnte. Aber nein, sie wollen uns alle abholen. Das dürfen sie dann gerne machen.

Politikersprech“ wird immer platter und ein Satz wie „Wir müssen die Bürger abholen“ hat einen kaum noch wahrnehmbaren Inhalt. Es klingt halt gut und suggeriert eine Nähe zwischen Politik und Bürgern, die es schon lange nicht mehr gibt.

Vielleicht könnte man ja Sammelstellen an verkehrstechnisch wichtigen Punkten einrichten, wie beispielsweise Tram- und Bushaltestellen, dann können die Politiker gleich mehrere Bürger auf einmal abholen. Das wäre für alle einfacher.

Beispiele wie diesen Satz gibt es zuhauf. Das Ganze fällt inzwischen sogar unter das Thema „Politolinguistik“, die unser Kontributor Michael Magercord vor wenigen Tagen präsentiert hat. Schöne Sätze formulieren, die weitgehend inhaltsfrei sind, das ist eine Kunst, die man heute beherrschen muss, will man in hoch dotierte Posten und Pöstchen gewählt werden.

Doch statt einfach nur solche Sätze zu plappern, wäre es deutlich sinnvoller, würden uns die Politiker wirklich abholen. Speziell in Streikzeiten, die ja auch in Deutschland immer häufiger werden, wäre so ein „Abholdienst“ sehr hilfreich. Oder meinen die Politiker etwa am Ende etwas anderes, wenn sie uns „abholen“ wollen?

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste