„Wir schaffen das 2.0“

Das Management einer riesigen Flüchtlingswelle aus der Ukraine zeigt, dass man solche Situationen organisieren kann, wenn nur der Wille dafür da ist.

Dieses kleine ukrainische Mädchen ist in Polen in Sicherheit - zum Glück! Foto: Mirek Pruchnicki from Przemyśl, Sanok, Polska / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Geschätzt hat bereits eine Million Menschen die Ukraine verlassen und anders als 2015, als diejenigen, die vor Putins Bomben um ihr Leben liefen, aus Syrien kamen, meistens moslemischen Glaubens waren und eine etwas dunklere Hautfarbe als Europäer hatten, geht heute (zum Glück) kein Aufschrei durch Europa, der suggerieren würde, dass a) das Boot voll ist und b) wir nicht das ganze Unglück der Welt schultern können. Dass es heute auf europäischer Ebene nicht einmal für nötig gehalten wird, einen Verteilungsschlüssel für die Flüchtlinge zu definieren, ist ebenfalls eine gute Sache, zeigt aber auch, dass die Flüchtlingskrise 2015 einen tief verwurzelten Rassimus in Europa zutage förderte.

Polen, das sich 2015 ebenso wie Ungarn, Tschechien und die Slowakei mit Händen und Füssen gegen die Aufnahme syrischer Flüchtlinge wehrte, hat innerhalb weniger Tage rund 500.000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Das ist gut, zeigt aber auch, dass Polen, ebenso wie andere Länder, die ihre Kultur eindeutig als „christlich“ verorten, es mit der christlichen Lehre nicht allzu genau nimmt. Denn diese will, dass man notleidenden Mitmenschen auch dann hilft, wenn diese nicht blond, blauäugig und christlich sind.

Doch würfelt der russische Angriffskrieg in vielen Ländern einiges durcheinander. Deutschland liefert immer mehr Waffen in die Ukraine, ein erster Tabubruch seit dem II. Weltkrieg, die Schweiz schließt sich den EU-Sanktionen im Bankensektor an und die Visegrad-Staaten öffnen ihre Tore und nehmen Flüchtlinge auf, ohne, dass man sie dazu drängen muss. Das alles ist natürlich positiv und, um nochmals Angela Merkel zu paraphrasieren, „alternativlos“.

Der Vergleich mit 2015 drängt sich allerdings insofern auf, dass die Menschen, die damals aus Syrien fliehen mussten, vor dem gleichen Angreifer flohen, der mit den gleichen Waffen und Bomben die Zivilgesellschaft ermordete wie heute in der Ukraine. Das europäische Verhalten gegenüber den Opfern des gleichen Angreifers war allerdings extrem unterschiedlich. Vielleicht wäre es gut, aus diesen Unterschieden zu lernen. Denn siehe da, 2022 ist das Boot eben überhaupt nicht voll und ganz Europa ist zum Glück bereit, den Opfern dieses Kriegs zu helfen. Das war allerdings 2015 nicht der Fall.

Wenn man sich vor Augen führt, dass Viktor Orban damals in Ungarn ein Referendum für 16 Millionen Euro organisierte, um zu begründen, warum seine Regierung nicht bereit war, 1248 syrische Flüchtlinge aufzunehmen (man stelle sich nur vor, wie man mit 16 Millionen Euro eine derart geringe Anzahl Flüchtlinge hätte versorgen können!), dann bleibt nur die Feststellung, dass sich 2015 der europäische Rassismus in Reinkultur manifestiert hat.

Doch ebenso wie 2015 werden wir das auch dieses Mal schaffen. Die ukrainischen Flüchtlinge können ihren Zielort frei wählen, sie erhalten für zwei Jahre ohne bürokratische Hindernisse ein Aufenthaltsrecht, Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Gesundheitssystem und für die Kinder zur Schulbildung. Die Integration dieser vom Krieg vertriebenen Menschen wird schnell gehen, und sie wäre auch 2015 noch schneller gegangen, hätte man nach ähnlichen Prinzipien gehandelt wie heute.

Sollte die Anzahl Flüchtlinge dramatisch ansteigen (in Brüssel geht man von bis zu 7 Millionen Flüchtlingen aus), hat die EU-Kommission immer noch die Möglichkeit, regulierend einzugreifen. Im Zusammenhang mit dieser Flüchtlingswelle macht Europa momentan fast alles richtig. Und sollte es zu weiteren Flüchtlingswellen aus Kriegsgebieten kommen, in denen die Opfer nicht groß, blond und blauäugig sind, wäre es erfreulich, würde Europa dann ebenso richtig handeln. Die Zeiten haben sich geändert, 84 Millionen Menschen sind weltweit zur Flucht gezwungen und entweder wird die Welt von morgen solidarischer, oder sie riskiert zu zerbrechen. Und dann nützt es auch nichts mehr, in selbstgebauten Hochsicherheitstrakten zu sitzen und zu hoffen, dass man nicht mit anderen teilen muss.

Doch 2022 gilt ganz klar: „Wir schaffen das!“

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