Wird Frankreich aus Versehen wieder demokratischer?

Nach den Parlamentswahlen herrscht in Frankreich mittleres Chaos. Nach Jahrzehnten eines sterilen Links-Rechts-Wechsels muss man ab sofort wieder Mehrheiten suchen.

So sieht es momentan für die französische Regierungsbildung aus. Foto: Hans-Joachim Fitting / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.5

(KL) – Die V. französische Republik war im Grunde von einem permanenten Wechsel der Macht zwischen den Sozialisten und den Konservativen geprägt. Wer die Macht hatte, der regierte eben, während sich die Rolle der Opposition darauf beschränkte, die Regierung zu kritisieren, bis man wieder selbst an der Reihe war zu regieren. So etwas wie eine echte politische Debatte, so etwas wie die Suche nach einem politischen Konsens waren weitgehend unbekannt. Doch das ändert sich nun nach den Parlamentswahlen, nach denen es keine regierungsfähige Mehrheit mehr im Parlament gibt. Wie schwierig dies für die französischen Politiker ist, erkennt man schon in den Stunden und Tagen nach der Wahl.

Die Parlamentswahl in Frankreich hat einen mittleren politischen Tsunami in Frankreich ausgelöst. Die Franzosen haben dem Präsidenten Emmanuel Macron eine zweite Amtszeit als Alleinherrscher verweigert, indem sie seiner Partei die absolute Mehrheit im Parlament verweigert haben. Die Wählerschaft hat sich aus dem Zentrum in die Extreme verlagert, sowohl links wie rechts. Doch so richtig kann das politische Frankreich momentan mit der Situation noch nichts anfangen, denn es gibt praktisch keine Kultur des Gesprächs mit der Opposition. Die neue Opposition kann allerdings mit ihrer neuen Rolle auch noch nicht umgehen.

Die einzigen, die mit der neuen Situation gut klarkommen, sind die großen Gewinner dieser Wahl, das rechtsextreme „Rassemblement National“ (RN), das von 8 Sitzen im Parlament auf 89 Sitze katapultiert wurde. Das linke Wahlbündnis „NUPES“ hingegen verfällt nur 24 Stunden nach seinem Erfolg (131 Sitze) in den typischen Reflex der französischen Linken – man zerfleischt sich gegenseitig. Dieses Bündnis, bestehend aus der linksextremen „France Insoumise“ (LFI), den Sozialisten (PS), den Grünen (EELV) und den Kommunisten (PCF) will keine gemeinsame Fraktion im neuen Parlament bilden, sondern löst sich unmittelbar nach seinem Erfolg wieder in seine Einzelteile auf. Damit wird RN plötzlich doch zur stärksten Oppositionspartei und kann Anspruch auf den wichtigen Vorsitz des Finanzausschusses des Parlaments erheben. Und das bedeutet, dass ausgerechnet der Wahlerfolg des linken Wahlbündnisses die Rechtsextremen weiter stärkt.

Das Ergebnis ist für Präsident Macron eine seltsame Katastrophe. Zwar ist seine Partei „Ensemble!“ die stärkste Partei im Parlament, doch es fehlt die Mehrheit, die Macron ermöglichen würde, wie in den letzten 5 Jahren „duchzuregieren“. Seine Partei muss ab sofort für alle politischen Projekte Mehrheiten suchen und das ist keine leichte Aufgabe, da keine der im Parlament vertretenen Parteien Lust verspürt, als Mehrheitsbeschaffer für einen Präsidenten zu agieren, der in den letzten 5 Jahren nicht nur die französische Gesellschaft gespalten, sondern auch die politische Landschaft verödet hat. Die in der ersten Amtzeit Macrons an den Tag gelegte Arroganz und Missachtung der politischen Gegner bläst dem Präsidenten nun einen starken Gegenwind ins Gesicht.

Mehrere Minister und hohe Vertreter der letzten Regierung wurden aus dem Parlament gekegelt und es passiert genau das, womit Macron nicht gerechnet hat: Er muss, nur vier Wochen nach seiner Wiederwahl (die nur deshalb zustande kam, weil die Franzosen wie seit 20 Jahren in der Stichwahl notgedrungen den Gegenkandidaten der rechtsextremen Familie Le Pen gewählt hatten), die gerade erst ernannte Regierung komplett umbilden – eine Art politischer Offenbarungseid für den neofeudal regierenden Macron.

Frankreich bleibt nun nichts anderes übrig, als den politischen Dialog neu zu entdecken. Die Alleinherrschaft Macrons, unter dem selbst seine Premierminister und Kabinettsmitglieder nicht viel mehr waren als Sprecher des Präsidenten, ist vorbei.

Zwei Wege zeichnen sich ab – der Weg der Korruption, auf dem Macron versuchen kann, durch die Zusage einiger Ministerposten einen Partner zu finden, der ihm eben doch ermöglicht, alleine die französische Politik der nächsten 5 Jahre zu bestimmen oder aber der Weg der Demokratie, auf dem politische Lösungen im Dialog gefunden werden, die von einer Mehrheit der im Parlament vertretenen Parteien getragen werden können.

Ausnahmsweise stellt sich der Weg der Korruption als der schwierigere dar. Denn diejenige Partei, die sich selbst zu Macrons Erfüllungsgehilfen degradiert, schaufelt sich damit ihr eigenes politisches Grab und wird bei künftigen Wahlen genauso abgestraft werden wie Macron bei dieser Wahl.

Man darf gespannt sein, wohin sich Frankreich nun bewegt. Erstaunlich: Obwohl die Nichtwähler mit 54 % der aktuellen französischen Politk eine klare Absage erteilt haben, könnte es sein, dass dieses Wahlergebnis der französischen Demokratie, die seit Jahren von einer arroganten politischen Kaste in Paris mit Füssen getreten wurde, eine ganz neue Dynamik enhaucht. Die nächsten Zeiten werden in der französischen Politik sehr interessant werden.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste