Wird gelb das neue braun?

Die antisemitischen Ausfälle im Zusammenhang mit der Protestbewegung der „Gelbwesten“ mehren sich. Ebenso wie die Drohgebärden ultranationalistischer Vollidioten.

Alain Finkielkraut, bedrängt von ihn beschimpfenden Antisemiten. 2019, Paris. Unglaublich. Foto: ScS EJ

(KL) – Woche für Woche wird es schwieriger, Entschuldigungen und Rechtfertigungen für die nicht enden wollenden Zwischenfälle bei den „Gelbwesten“-Demonstrationen zu finden. Das Stadium, in dem man diese Zwischenfälle mit einem „das sind nur eine Handvoll Idioten“ abtun konnte, ist überschritten. Dazu kommen nun auch offen umstürzlerische Tendenzen ihre Nase. Und Lösungen sind kaum in Sicht.

Während in der französischen Bevölkerung die Stimmung nach 3 Monaten selbstzerstörerischer Besetzungen, Blockaden, Beschädigungen und samstäglichen Demonstrationen, die systematisch in Gewaltexzessen und urbanen Zerstörungsorgien endeten, umschlägt, zeigt die „Bewegung“ der „Gelbwesten“ ihr ganzes Elend: sie findet und findet einfach keine Köpfe in ihren Reihen, die dieser „Bewegung“ eine Form geben könnten. Stattdessen enthalten sich die „Gelbwesten“ vornehm jeglicher Kritik an den sich wiederholenden antisemitischen Zwischenfällen und lassen auch die Aufrufe zum gewalttätigen Umsturz des offenbar an multiplen psychischen Störungen leidenden Christophe Chalençon unkommentiert.

Antisemitische Parolen vor der Straßburger Synagoge, der Schriftzug „Juden“ auf dem Schaufenster der Bäckereikette „Bagelstein“, Hakenkreuze auf dem Porträt der Auschwitz überlebt habenden Europapolitikerin Simone Veil und am Samstag beim „Akt 14“ die Ausfälle von vor Hass geifernden Antisemiten gegen den jüdischen Philosophen Alain Finkielkraut, dem wütend und mit drohenden Gesten „Drecks-Zionist, geh nach Hause!“ und andere eklige Sprüche ins Gesicht geschleudert wurden. Die Gesten dieser durchgeknallten Neonazis waren eindeutig – am liebsten hätten sie ihm die Kehle durchgeschnitten. Diese antisemitischen Ausfälle haben inzwischen derartige Formen angenommen, dass am Dienstag um 19 Uhr in ganz Frankreich von Parteien, Gewerkschaften und anderen Organisationen zu solidarischen Demonstrationen mit der jüdischen Gemeinde aufgerufen worden ist.

Die antisemitischen, identitären und ultrarechten Elemente in der „Gelbwesten“-Bewegung haben heftige Konkurrenz von Linksextremen bekommen, die in ihren Aufrufen zur Teilnahme an den „Gelbwesten“-Demonstrationen Tipps geben, wie man für möglichst heftige Übergriffe sorgen kann, im Schutz der „friedlichen Gelbwesten“, mit denen man fast Mitleid haben könnte, dass sie auch nach 14 dieser Gewalt-Samstage immer noch nicht merken, dass und wie sie von Rechts- und Linksextremisten missbraucht werden.

Frankreich ist keine Diktatur – Unerklärlich ist die Nachsicht, die sowohl die Behörden, aber auch die „Gelbwesten“ selbst einen ihrer selbsternannten Führer mit Samthandschuhen anfassen. Dieser schwadronierte nach seinem Treffen mit dem italienischen Vize-Premier Di Maio davon, dass „paramilitärische Einheiten bereitstehen, denen es auch um den Sturz der Macht geht“. Und, „wenn ich eine Kugel in den Kopf bekomme, dann stirbt Macron unter der Guillotine“. Erstaunlich, dass sich die „Gelbwesten“ nicht von diesem skurrilen Extremisten distanzieren, und ebenso erstaunlich, dass der Mann noch frei herumläuft. Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass Frankreich keine Diktatur ist, dann ist dies der beste Beweis dafür…

Gewiss, die Beteiligung an den samstäglichen Aktionen geht zurück, was kein Wunder ist. Denn bei diesen Demonstrationen geht es schon lange nicht mehr um Inhalte, sondern den süßen Duft der Rebellion, die Adrenalinausschüttung der Demo-Teilnehmer, die als Gruppenerlebnis ebenso heftig ist wie bei Fußballfans, die eine ähnliche Kommunion erleben, die Illusion, die Macht in den Händen zu halten. Es ist bezeichnend, dass kein nennenswerter Intellektueller, kein nennenswerter Politiker (außer natürlich JeanLucMarineLeMelenchonPen von links- und rechtsextrem), kein nennenswerter Künstler diese „Bewegung“ noch unterstützt.

Selbst die linken Salon-Revolutionäre, die bis vor kurzem noch dachten, dass dies die Revolution der „edlen Wilden“ sei, deren wirres Gebrabbel der Ausdruck maximaler Authentizität und Ehrlichkeit sei, also in sich „links“ und folglich „gut“, können angesichts dieser widerwärtigen Zwischenfälle kaum noch ihre gelben Freunde verteidigen. Was in gelb auf der Straße bleibt, sind etliche „friedliche Demonstranten“, die nicht merken oder nicht merken wollen, dass sie das sichere Hinterland für extremistische Gewalttäter bilden und eben diese extremistischen Gewalttäter.

Doch erledigt ist das Thema noch lange nicht. Der relativ friedliche Verlauf von „Akt 14“ ist eine Momentaufnahme. Und auch die hartgesottenste „Gelbweste“ hatte am Samstag wohl eher Lust, auf einer Terrasse in der Sonne Kaffee zu trinken. Die Extremisten und Umstürzler werden so schnell nicht aufgeben – sie haben sich noch nie näher am Umsturz gefühlt.

Die „Großen nationalen Debatten“ laufen, die Franzosen haben mehrheitlich die Nase von der samstäglichen Stressnummer voll, die extremistischen und gewalttätigen Zwischenfälle reichen. Bevor Frankreich aus Versehen in die Hälfte von Extremisten mit antisemitischer und zum Teil neonazistischer Prägung fällt, ist es an der Zeit, dass dieser Alptraum endet. Frankreichs Image hat diese „Bewegung“ auf Jahre hinaus ruiniert, der wirtschaftliche Schaden ist enorm und dabei schaden diese extremistischen Schläger am meisten denjenigen, die wirklich Hilfe brauchen. Denn die Solidarität der Franzosen mit den sozial Schwächsten, um deren Forderungen es am Anfang dieser Bewegung ging, war und ist vermutlich noch groß. Die Solidarität mit Schlägern, Kriminellen, Antisemiten, Neonazis, Black Blocks und anderen Durchgeknallten ist es nicht.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste