Wird Paris zu Ottawa 2.0?

Es passiert, was passieren musste. Nach dem jahrelangen Aussitzen aller sozialen Konflikte in Frankreich vereinen sich nun alle Protestbewegungen. Und das ist hochexplosiv.

Werden wir Bilder wie aus Ottawa auch aus Paris sehen? Wird es friedlich oder gewalttâtig werden? Foto: JIMMYSUPERSTARZ / Wikimedia Commons / CC-BY 3.0

(KL) – An diesem Wochenende könnte Paris zum Stillstand gebracht werden. Denn auch, wenn die Umstände in Kanada und Frankreich nicht vergleichbar sind, findet an diesem Wochenende in ganz Frankreich eine Sternfahrt nach Paris statt, die nach kanadischem Vorbild „Liberty Convoy“ heißt. Aus allen Regionen Frankreichs fahren einige LKWs und viele Privat-PKWs nach Paris, um dort gegen ungefähr alles zu protestieren, gegen das man protestieren kann. Danach soll es sogar noch nach Brüssel weitergehen. Das Chaos ist vorprogrammiert. Die Auseinandersetzungen auch.

Bei dieser Protest-Sternfahrt erkennt man deutlich die Handschrift der „Gelbwesten“, die seit 2018 und bis zum Beginn der Pandemie jedes Wochenende Paris und die Städte in der Provinz lahngelegt hatten. Doch war klar, dass die pandemiebedingte Pause der „Gelbwesten“ nicht etwa das Ende dieser ziemlich ziel- und planlosen Protestbewegung war, sondern diese wieder aufflackern würde, sobald die Umstände dies erlauben würden. Und das scheint an diesem Wochenende der Fall zu sein.

Dieser französische „Liberty Convoy“ ist die Gelegenheit für alle Unzufriedenen, sich wieder auf der Straße Luft verschaffen zu können. Dabei ist die Mischung der Protestler hochexplosiv. Impfgegner, Impfpass-Gegner, „Gelbwesten“, Neonazis, Komplottisten, Linksextreme, religiöse Fundamentalisten, Gegner der Rentenreform, Menschen mit sozialen Anliegen – jeder, dem gerade etwas nicht passt, ist gerade auf dem Weg nach Paris. Die Mobilisierung erfolgte über die Sozialen Netzwerke, über Konten, denen bereits bis zu 125.000 Menschen folgen sollen.

Was am Wochenende auf Paris zukommt, ist eine gefährliche Mischung der gesamten Protestbewegungen der letzten dreieinhalb Jahre und nun rächt sich, dass diese Protestbewegungen damals, als sie aktuell entstanden, nicht gelöst wurden. Das Aussitzen der französischen Regierung führt heute dazu, dass die verschiedenen Protestbewegungen einen gemeinsamen Nenner gefunden haben – „Macron muss weg“ und „alles ist schlecht“.

Doch wie bereits bei den über 50 „Akten“ der „Gelbwesten“ zwischen November 2018 und dem Beginn der Pandemie, ist auch bei dieser Sternfahrt auffällig, dass es keine gemeinsame Forderung, kein Konzept und keine Systematik gibt. Offenbar geht es nur darum, nach den zwei Jahren der Pandemie wieder „die Straße“ in Besitz zu nehmen und seiner allgemeinen Unzufriedenheit Luft zu machen. In dieser Großdemonstration wird es unendlich viele Klein- und Kleinstdemonstrationen geben und wie 2018/19, ist völlig egal, wer da gerade wogegen demonstriert, Hauptsache laut, Hauptsache viele TV-Bilder.

Es ist schon fast tragisch, dass Protestbewegungen ohne Ziel und Organisation auf eine Regierung treffen, die ebenso wenig Plan hat, wie man mit diesen Protesten konstruktiv umgehen soll. Das Ergebnis ist eigentlich schon vorgezeichnet – es wird zu Auseinandersetzungen in der Hauptstadt kommen, Macron wird seine während der Pandemie frisch ausgerüsteten Elitetruppen ins Rennen schicken und wir werden einmal mehr Bilder aus Paris bekommen, die so gar nicht zum Image der „Stadt der Liebe“ passen werden.

Hoffen wir, dass es am Wochenende in Paris und auf den Strecken dieser Sternfahrt friedlich bleibt, dass es nicht zu den üblichen Straßenschlachten kommt und dass es die nächste Regierung Frankreichs schafft, die von der aktuellen Regierung vollzogene Spaltung der Gesellschaft wieder zu kitten.

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