Wo bleiben die Dosen?

Frankreich und das lange Warten auf den national entwickelten Impfstoff

Der Sitz von Sanofi-Aventis in Lyon. In der Impfstoff-Entwicklung ist das Unternehmen ein Flopp... Foto: DERVIEUX Sébastien / Wikimedia Commons / GNU 1.2

(Karl-Friedrich Bopp) – 300 Millionen Impfstoffdosen sind für die Staaten der Europäischen Union vorgesehen. 45 Millionen davon sind für französische Patienten bestimmt. Die Verträge sind geschlossen. Es fehlt nur eines – der in Frankreich entwickelte Impfstoff.

Was ist nur los in Frankreich mit seiner stolzen und geschichtsreichen Forschung? Was ist nur los mit dem Pharmakonzern Sanofi und dem Institut Pasteur? Warum haben sie beide in der Covid-19-Krise versagt und hinken in der Entwicklung eines Impfstoffes den Konkurrenten weit hinterher?

Louis Pasteur, der im vorletzten Jahrhundert die erste Tollwutimpfung erfunden hatte, würde sich im Grabe umdrehen. Sein nach ihm benanntes Institut gab Ende Januar 2021 bekannt, die Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffes einzustellen – eine nationale Tragödie! Die neue Technologie auf mRNA-Basis vollkommen verschlafend, baute das Institut auf die Nähe des Covid-19-Virus zum Masernerreger. Nur, erkennbar lag die Immunisierung lediglich bei 50 Prozent. Da könnte man gleich ein Placebo spritzen.

Dem Pharmariesen Sanofi geht es nicht viel besser. Pannen in der Entwicklung lassen einen Impfstoff gegen Covid-19 frühestens für Ende des Jahres erwarten. Aber der Impfstoff wird jetzt und heute dringend gebraucht. Deshalb nötigte die französische Regierung Sanofi, ab Sommer Millionen Dosen des amerikanisch/deutschen Konkurrenten Pfizer/BioNtech zu produzieren. Na, wenn das den Nationalstolz nicht berührt…

Besonders unverständlich ist in diesem Zusammenhang, dass Sanofi gerade jetzt Forscher entlässt. Nicht nur wurden bereits in den letzten 12 Jahren 45 % der Gelder für die Forschung gekürzt. Nein, gerade wurde die Entlassung von 364 zusätzlichen Posten bekanntgegeben. Gipfel der Ironie: Aufgrund eines Gewinns von 12 Milliarden Euro werden dieses Jahr 4 Milliarden Euro Dividende an die Aktionäre verteilt, verkündete gerade die Konzernspitze.

Erste Stimmen rufen bereits laut nach einer Ursachenforschung für dieses Desaster. Manche nennen strukturelle Gründe. Die Zahl der Forscher nimmt in Frankreich stetig ab. Allein zwischen 2007 und 2020 ist die Zahl von mehr als 23.000 auf 17.500 zurückgegangen. Zusätzlich zu den generell schwierigen Arbeitsbedingungen wird auch noch schlecht bezahlt. Beinahe 40 % weniger als im OECD-Durchschnitt. Talentierte Forscher gehen daher ins Ausland. Als Beispiel wird gerne die Chemie-Nobelpreisträgerin des Jahres 2020 Emmanuelle Charpentier genannt, die heute in Deutschland arbeitet.

Andere nennen politische Fehlentscheidungen. Im Bereich Gesundheit ist in Frankreich der Forschungsaufwand auf 2,25 % des Bruttoinlandproduktes gesunken, in Deutschland liegt er bei mehr als 3 %.

Vor diesem Hintergrund klingt die Aussage von Präsident Macron letzten Sommer beim Besuch einer Sanofi- Produktionsstätte in der Nähe von Lyon als schlechter Witz: „Das Projekt, das heute verkündet wurde, macht Sanofi und Frankreich erstklassig im Kampf gegen den Virus und auf der Suche nach einem Impfstoff.“ Leider machte der Präsident weder eine Andeutung über die Dauer des Kampfes noch über den Zeitpunkt, wann der Impfstoff zur Verfügung stehen sollte. Das war vielleicht auch besser so…

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste