Wo ist der Ausweg aus der Krise?

Die sozialen Unruhen in Frankreich ebben keineswegs ab. Viele verschiedene Berufsgruppen vertreten ihre eigenen Interessen, doch es gibt auch einen gemeinsamen Nenner.

Die Demonstrationen in Frankreich gehen unvermindert weiter... Foto: Eurojounalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Nüchtern betrachtet, wird Frankreich seit November 2018 von einer Sozialrevolte geschüttelt, die sich langsam verselbständigt, nachdem die Proteste gegen die geplante und ziemlich amateurhaft vorbereitete Rentenreform alle Gewerkschaften auf die Straße getrieben haben. Doch bei den Massenprotesten geht es nur bedingt um die Rentenreform – der gemeinsame Nenner zwischen allen Demonstranten ist die Ablehnung des eiskalten, neoliberalen Politik von Präsident Emmanuel Macron, den alle Protestgruppen, von den „Gelbwesten“ über die seit dem 5. Dezember streikenden Eisenbahner bis zu den Klimademonstranten für alles verantwortlich machen, was im Land schief läuft.

Auch in Straßburg demonstrierten gestern wieder rund 10.000 Personen, und wie bei jeder dieser Großdemonstrationen hatte man das Gefühl, nicht EINE, sondern viele Demonstrationen zu beobachten. Da demonstrierten wieder die Eisenbahner für die Beibehaltung ihrer aus einer anderen Zeit stammenden Privilegien (wie dem Renteneintrittsalter von 52 bzw. 55 Jahren, das aus einer Zeit stammt, als die Eisenbahner noch von Hand Kohle in die Lokomotive schaufeln mussten…); da protestierten Lehrerinnen und Lehrer gegen ein späteres Renteneintrittsalter bei gleichzeitiger Kürzung ihrer Rentenansprüche; streikende Anwälte demonstrierten für die Beibehaltung ihrer eigenen Rentenkasse; Holzfäller protestierten dagegen, dass ihr körperlich anstrengender Job als weniger anstrengend als derjenige der Eisenbahner betrachtet wird, wieder andere demonstrierten, da viele Franzosen, ebenso wie viele Deutsche, mit dem Eintritt ins Rentenalter auch den Schritt in die Altersarmut gehen müssen.

So kocht also jeder sein Süppchen, verbunden von der einzigen gemeinsamen Forderung, die aber mit Sicherheit nicht erfüllt werden wird – die Forderung nach dem Rücktritt von Emmanuel Macron, dem „Präsidenten der Reichen“, der mit seiner wenig kommunikativen und oft respektlosen Art viele Franzosen und Französinnen gegen sich aufgebracht hat.

Die Proteste in Frankreich kanalisieren alle Wut und alle Frustration auf eine Person – Emmanuel Macron. Dessen Unfähigkeit, seit November 2018 eine Antwort auf die Bewegung der „Gelbwesten“ zu finden, ist allerdings auch die Grundlage, auf der diese neuen Sozialkonflikte gedeihen konnten. Der Mangel an konstruktivem Dialog, den Macron nicht bereits ist, mit seinem eigenen Volk zu führen, dürfte den Präsidenten und seine Partei LREM bei den bereits im März anstehenden Kommunalwahlen in Frankreich teuer zu stehen kommen. In vielen französischen Städten entfernen die LREM-Kandidaten bereits den Hinweis auf ihre Parteizugehörigkeit und viele Kandidaten und Kandidatinnen legen keinen gesteigerten Wert auf Wahlkampfauftritte von Regierungsmitgliedern oder gar dem Präsidenten selbst. Die Verantwortung für das sich abzeichnende Wahldebakel trägt ein einziger Politiker – Emmanuel Macron selbst.

Aus der aktuellen Sozialkrise in Frankreich könnte wohl nur der Weg des Dialogs führen, doch zu einem echten Dialog scheint es in der aktuellen Regierung nicht zu reichen. Aussitzen wird man die Krise allerdings auch nicht können, denn wenn zwei- oder dreimal pro Monat (plus an allen Wochenenden) Hunderttausende, manchmal gar Millionen Französinnen und Franzosen auf die Straße gehen, um generell mehr soziale Gerechtigkeit einzufordern, dann funktioniert „Aussitzen“ nicht mehr. Wenn die Regierung nicht sofort in einen echten sozialen Dialog mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft einsteigt, wird sie diese Arroganz am Ende teuer bezahlen. Die Zeit drängt und der richtige Zeitpunkt für die Regierung, ihre arrogante Attitüde zu beenden und einen echten Dialog mit der Bevölkerung aufzunehmen, ist jetzt. Für taktische Spielchen ist keine Zeit mehr – die Franzosen und Französinnen verlangen nach Lösungen und haben von der „politischen Kommunikation“ ihrer Regierung die Nase voll. Man darf gespannt sein, wie es weitergehen wird.

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