Woher kommt das deutsche Sendungsbewusstsein in Europa?

Alle paar Jahrzehnte meint Deutschland, dem Rest Europas und der Welt gewaltsam beibringen zu müssen, wie man glücklich lebt. Dabei sind wir Deutschen doch gar nicht so lebensfroh…

"Am deutschen Wesen soll die Welt genesen"? Nee, lieber doch nicht... Foto: Deror8avi / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – 1861 schrieb der Lübecker Dichter Emanuel Geibel in seinem Gedicht „Deutschlands Beruf“ einen folgeschweren Satz, der die deutsche Geschichte der letzten 150 Jahre ziemlich gut zusammenfasst: „Und es mag am deutschen Wesen, einmal noch die Welt genesen“… und diesen Satz griffen in der Folge alle auf, die dafür sorgten, dass Deutschland große und größte Schäden anrichtete. Und auch im Jahr 2015 meinen wieder deutsche Politiker, Europa und dem Rest der Welt erzählen zu müssen, wie man richtig lebt und wirtschaftet – dabei ist Deutschland nicht unbedingt ein Hort für überschäumende Lebensfreude. Aber woher kommt dieses Sendungsbewusstsein, mit dem wir Deutschen meinen, der Welt Lektionen erteilen zu müssen?

„Lebensfreude“ ist eigentlich genau der Gegenentwurf zur romantisch-verklärten Grundhaltung der Deutschen, die auf alter germanischer Mystik, einem innigen Verhältnis zur Natur und dem Gefühl beruht, man wüsste es besser als andere. Dennoch meinen wir, dass wir anderen beibringen können, wie man sein Leben richtig gestalten kann. Aber vielleicht wollen andere Länder ja gar nicht nach dem deutschen Modell „glücklich“ sein, wo doch alle merken, dass in Deutschland außer der Fassade nicht viel stimmt?

Deutsche Werte sind nicht etwa „Familiensinn“, „Laisser faire“ oder „soziale Gerechtigkeit“ – sondern „Leistung“, „Disziplin“ und – „Gehorsam“. Das mag jetzt etwas überzeichnet sein, doch haben schon andere diese Feststellung gemacht. Dass nach dem Streben nach „Leistung“ und „Gehorsam“ alle diejenigen durch das Netz fallen, die diesen Anforderungen nicht genügen, das nimmt man gerne in Kauf. Auch, dass sich das darin niederschlägt, dass heute, im Jahr 2015, 16 % der deutschen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt. Das sind dann eben die Leute, die den oben genannten Werten nicht folgen oder nichts abgewinnen können. Doch wie abenteuerlich ist es, aus einem lebensfrohen Olivenbauern auf Kreta eine „schwäbische Hausfrau“ machen zu wollen, dessen Lebensrhythmus vom Staat vorgegeben wird?

Europa wollte immer ein „Europa der Vielfalt“ sein – bis Deutschland nach dem II. Weltkrieg dank der Hilfe der europäischen und überseeischen Partner wirtschaftlich wieder so erstarken konnte, dass es an den Punkt kam, den anderen Ländern Europas erneut den „deutschen Weg“ aufzwingen zu wollen. Doch der Versuch, Europa zu „germanisieren“, ist zum Scheitern verurteilt. Denn das deutsche Modell, das aus „Sparen“, protestantischem Verzicht und Fleiß und einer Art Freudeverweigerung basiert, wird zwar in anderen Ländern durchaus mit einem gewissen Grad an Respekt wahrgenommen, ist aber für niemanden außer uns Deutschen wirklich attraktiv. Vielleicht sollten wir lernen damit aufzuhören, dieses unattraktive Modell anderen mit Gewalt aufs Auge zu drücken?

Emanuel Geibel täuschte sich, als er „Und es mag am deutschen Wesen, einmal noch die Welt genesen“ schrieb – am deutschen Wesen verzweifeln Europa und der Rest der Welt. Doch weil Deutschland wirtschaftlich so stark ist, traut sich niemand mehr, uns das offen ins Gesicht zu sagen. Also sollten wir es uns einmal ruhig selbst eingestehen – unsere deutsche Arroganz geht den anderen ganz schön auf die Nerven.

Schon jetzt darf man sich auf angeregte Diskussionen zwischen sonnenbrandgeröteten deutschen Touristen und griechischen Arbeitslosen an der griechischen Küste im Sommer freuen. Vor allem, wenn Jupp aus Wanne-Eickel den Griechen erklärt, dass alles halb so wild ist, wenn man sich jetzt ein wenig am Riemen reißen muss. Allerdings stehen die Chancen schlecht, dass Jupp aus Wanne-Eickel seine griechischen Gastgeber davon überzeugen kann, dass alles viel besser wäre, würde „der Grieche“ ein wenig mehr wie ein Deutscher ticken. Denn am Ende des Tages können wir Deutschen uns von so ziemlich allen anderen eine dicke Scheibe abschneiden, wenn es um das Thema der Leichtigkeit des Seins geht…

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