Woher kommt die Gewalt um die EZB in Frankfurt?

Europa rätselt – was hat nur den Ausbruch von Gewalt rund um die Eröffnung der neuen EZB-Zentrale in Frankfurt ausgelöst? Die Antwort gab EZB-Chef Mario Draghi selbst.

Dieser phallusartige Bau in Frankfurt soll also das Beste symbolisieren, was wir in Europa haben. Na dann... Foto: Simsalabimbam / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – „Dieses Gebäude“, so sagte EZB-Chef Mario Draghi salbungsvoll bei der Eröffnung des neuen EZB-Towers im Frankfurter Ostend, „ist das Symbol des Besten, was wir in Europa haben!“ Und genau hier liegt der Hund begraben. Ohne die Gewalt in Frankfurt zu rechtfertigen (nichts rechtfertigt 300 Verletzte, wobei beide Seite, also Demonstranten wie Polizei, jedes Augenmass verloren hatten), so muss sich das institutionelle Europa langsam, aber sicher einmal fragen, in wessen Namen es eigentlich seine zynische und ausschließlich auf das Wohlergehen von Finanzmärkten ausgerichtete Politik betreibt, Und die EZB muss sich die Frage gefallen lassen, ob es wirklich ihre Aufgabe ist, „linke“ und unliebsame Regierungen in Europa über die Finanzschiene zu gängeln.

„Das Symbol des Besten, was wir in Europa haben“?!? Dann allerdings muss man sich um Europa wirklich Sorgen machen. Denn die Aussage von Mario Draghi, gemacht in einem neuen Glaspalast des großen Kapitals, illustriert nur die Abgehobenheit des institutionellen Europas von seinen Bürgerinnen und Bürgern. Ein Europa, das Billionen verpulvert, um korrupte Finanzmärkte zu sanieren, das Banken das Geld hinterher wirft, von dem nichts bei den Menschen ankommt, das aber gleichzeitig gerade mal 6 Milliarden Euro übrig hat, um Programme zu finanzieren, mit dem arbeitslosen jungen Europäern eine berufliche Perspektive gegeben werden soll, das ist genau das Europa, gegen das die Menschen in Frankfurt protestiert haben. Denn Draghi liegt leider völlig falsch. Das neue Prunkgebäude der EZB ist nämlich das Symbol für das vollständige Versagen Europas, das weder eine menschenwürdige Sozialpolitik hinbekommt, noch eine sinnvolle Außenpolitik und schon gar keine humanistisch orientierte Flüchtlingspolitik. Es ist das Symbol eines Europas, das seine Jugend auf den Altären der Finanzmärkte opfert, das gerade dabei ist, seine Souveränität an amerikanische Großkonzerne zu verhökern, das zusieht, wie Menschen in Südeuropa hungern und keinen Zugang mehr zum Arbeitsmarkt, zum Gesundheitswesen und zu einem menschenwürdigen Leben mehr haben. Gegen das Symbol dieses Europas wurde in Frankfurt demonstriert.

Fassungslos sei man angesichts dieser Gewalt in Frankfurt, sagen unisono die politischen Verantwortungsträger. Dabei übersehen sie, dass ihre Politik von vielen Menschen in Europa als mindestens ebenso gewalttätig erlebt wird. Wie viele Familien in Griechenland, Portugal oder Spanien, die Job, Haus und Wohnung verloren haben und heute unter menschenwürdigen Umständen leben müssen – ist das etwa keine Gewalt? Wenn Europa zusieht, dass in einzelnen Ländern zwei Drittel der Jugendlichen keinerlei berufliche Perspektive mehr haben, ist das etwa keine Gewalt? Wenn alle dafür bezahlen müssen, wenn sich Banken auf der Jagd nach höheren Gewinnen verspekulieren, ohne das die dazugehörigen Schreibtischkriminellen dafür geradestehen müssen, ist das keine Gewalt?

Europa steht am Scheideweg – und das Schlimme daran ist, dass diejenigen Politiker, die für die europäische Politik Verantwortung tragen, konsequent die Augen vor den Realitäten der 500 Millionen Europäerinnen und Europäer verschließen und konsequent auf dem Weg weitergehen, der Europa zu neuem Nationalismus, Extremismus und sozialer Ungerechtigkeit führt. „Das Symbol des Besten, was wir in Europa haben“ – das ist schon fast eine Aufforderung zu Widerstand und Protest. Denn das, was Europa gerade auf allen Ebenen abliefert, ist ungefähr das Schlechteste, was man aus der eigentlich großartigen Idee Europas machen kann. Dass Zehntausende gegen diesen Zynismus der Finanzmärkte auf die Straße gehen, ist absolut gerechtfertigt. Dass dabei Menschen verletzt werden, ist allerdings nicht gerechtfertigt.

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