Wohin steuert Frankreich?

Eine Welle der Gewalt schwappt durch Frankreich. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit gehen „Black Blocks“ und Polizeikräfte aufeinander los. Und es wird immer schlimmer.

Frankreich muss den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen, bevor noch Schlimmeres passiert. Foto: ScS EJ

(KL) – Am heutigen Aktionstag der Gewerkschaften halten viele Franzosen den Atem an und hoffen, dass es nicht wieder zu bürgerkriegsähnlichen Szenen wie am Wochenende in Sainte Soline im Departement Deux Sèvres kommt. Hier lieferten sich „Umweltschützer“ und Polizeikräfte stundenlang andauernde Gefechte, bei denen 47 Polizisten und mehr als 200 Demonstranten verletzt wurden, wobei einer der verletzten Demonstranten heute in Lebensgefahr schwebt. Dabei ging es um das Projekt des Baus von Rückhaltebecken für die industrielle Landwirtschaft, das man aus ökologischen Gründen durchaus ablehnen kann, ohne dass hierzu Jagdszenen wie in Sainte Soline nötig wären. Frankreich befindet sich heute in einer Logik von Gewalt und Gegengewalt und dabei verhalten sich alle Parteien so, dass eine Befriedung der Situation in immer weitere Ferne rückt.

Die Gewalt der Demonstranten in Sainte Soline ist ebenso wenig entschuldbar wie die Gewalt der „Black Blocks“ am Rande der großen Gewerkschafts-Demonstrationen. Allerdings ist die aktuelle Polizeigewalt in Frankreich ebenso wenig entschuldbar, wobei die Prügel- und Tränengas-Orgien der Polizeikräfte einem politischen Kalkül folgen. Je mehr Gewalt es auf der Straße gibt, desto einfacher fällt es der Regierung, die gesamte, friedliche Protestbewegung zu kriminalisieren und in die Nähe von Chaoten und Staatsfeinden zu rücken. Dabei vergißt man geflissentlich, dass die Gewalt von Präsident Macron und seiner Regierung ausging, als diese darauf verzichteten, das Parlement zu dieser fundamental wichtigen Rentenreform abstimmen zu lassen und das entsprechende Gesetz gegen den Willen einer großen Mehrheit der Franzosen am Parlament vorbei beschlossen.

Das Argument der Macron-Anhänger, dass die Nutzung des §49.3 verfassungsgetreu und daher demokratisch sei, ist konstruiert und eigentlich müssten diese „Verfassungsexperten“ es eigentlich besser wissen. Ja, es stimmt, in der V. Republik wurde dieses höchst undemokratische Instrument bereits 100 Mal verwendet, doch war dieser Paragraph nie dazu gedacht, einem Autokraten das Regieren über sein Volk zu ermöglichen, sondern um die Möglichkeit zu haben, bei Haushaltsfragen entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben, um Situationen wie in den USA zu vermeiden, wo sich die Institutionen zu diesen Fragen häufig gegenseitig blockieren und die dortige Regierung handlungsunfähig machen. Kein Wunder, dass Premierministerin Elisabeth Borne am Sonntag hoch und heilig versprach, künftig den §49.3 nur noch zu Haushaltsfragen zu nutzen – die Frau weiß ganz genau, dass der §49.3 zu einer Frage wie der Rentenreform eigentlich nicht hätte gezogen werden dürfen.

Die gewalttätigen Gruppen bei den Auseinandersetzungen (und nicht etwa bei den Großdemonstrationen, die dank eines hervorragend organisierten Ordnungsdienstes der Gewerkschaften immer noch friedlich sind) sind zahlenmäßig sehr wenige, doch aufgrund ihrer Aktionen erhalten sie ein größeres Medienecho als die Millionen Franzosen, die friedlich durch ihre Städte ziehen und von ihrem Präsidenten verlangen, wenigstens einmal zuzuhören.

Inzwischen haben sowohl Präsident Macron, als auch Premierministerin Borne öffentlich verkündet, sich mit den Gewerkschaften an einen Tisch setzen zu wollen. Doch dieses „Gesprächsangebot“ wurde gleich dadurch entwertet, dass klar gesagt wurde, dass man auf Seiten der Regierung nicht bereit sei, über die Rentenreform zu sprechen. Aber worüber dann? Es ist diese höchst undemokratisch durchgeboxte Rentenreform, die Frankreich auf die Palme und auf die Straße treibt.

Wäre dieser Präsident wirklich ein Präsident, würde er diese ungeliebte Reform auf Eis legen und einen echten Dialog mit den Sozialpartnern und allen politischen Kräften lancieren, um eine konsensfähige Rentenreform auszuarbeiten. Aber das würde voraussetzen, dass Macron eingesteht, in der Methode einen riesigen Fehler begangen zu haben und da in Macrons Selbstverständnis die gleiche Unfehlbarkeits-Doktrin wie im Vatikan herrscht, wird es nicht so weit kommen.

Heute will die französische Regierung die eigene Bevölkerung „in die Knie zwingen“, aber das kann nicht die Aufgabe einer Regierung in einer vermeintlichen Demokratie sein.

Die Gewalt auf beiden Seiten muss sofort aufhören, bevor die sozialen Unruhen in Frankreich Todesopfer fordern und alle Deiche brechen. Doch weder die „Black Blocks“, noch die Polizei werden ihre gewalttätigen Handlungen einstellen. Derjenige, der diese Spirale der Gewalt stoppen könnte, ist Präsident Macron. Doch der ergötzt sich gerade daran, die französische Gesellschaft weiter zu spalten, um sie besser kontrollieren zu können. Und so wird diese entsetzliche Entwicklung der Gewalt weitergehen – was einmal mehr zeigt, dass die Franzosen einen großen Fehler gemacht haben, diesem Mann ein zweites Mandat zu spendieren. Wie es bereits heute weitergehen wird, steht in den Sternen. Doch wie man aus dieser Situation wieder herauskommt, ist weiterhin offen. Nur eines ist klar – man darf nicht auf den Präsidenten und seine Regierung hoffen, um das Land zu befrieden. Denn respektvoller Umgang mit der Bevölkerung steht in den Pariser Palästen der Macht leider nicht auf dem Programm.

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