Wohin steuert Frankreich?

Eine Umfrage im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2022 in Frankreich sieht die Rechtsextreme Marine Le Pen vor Amtsinhaber Emmanuel Macron. Wie in anderen Ländern auch, werden die Franzosen sich zwischen Pest und Cholera entscheiden müssen…

Die rechtsextreme Marine Le Pen wird immer mehr zur Favoritin auf das Prâsidentenamt. Foto: Jérémy-Günther-Heinz-Jâhnick / Wikimedia Commons / GNU 1.2

(KL) – So musste es ja kommen. Nach Jahren des ewigen Links-Rechts-Wechsels im Präsidentenpalast und einem „Ausrutscher“ 2017, als die Franzosen derartig von Links-Rechts bedient waren, dass sie für den „Newcomer“ Macron stimmten, in der irrigen Annahme, dass dieser „es auch nicht viel schlechter machen kann“ als seine Vorgänger François Hollande und Nicolas Sarkozy, steuert Frankreich 2022 auf einen Rutsch nach Rechtsaußen zu. In der Umfrage des Instituts Harris für „L’Opinion“, liegt die Rechtsextreme Marine Le Pen mit 27 % der Stimmen vorne.

Gefolgt wird Marine Le Pen von Emmanuel Macron (23 %), dem drei Viertel seiner Landsleute nicht mehr trauen. Danach kommen mit Xavier Bertrand (16 %) und Valérie Pécresse (14 %) zwei mitte-rechts-Kandidaten und erst danach kommt mit dem mit zunehmendem Alter immer wunderlicher werdenden Jean-Luc Mélanchon (10 %) der erste „linke“ Politiker. Diesem folgt mit dem in seiner eigenen Partei umstrittenen Yannick Jadot (7 %) ein grüner Kandidat, vor der Sozialistin Anne Hidalgo (7 %) und mitte-links-Kandidat Arnaud Montebourg (5 %). Einmal mehr zeigt sich, dass in schwierigen Zeiten vor allem die rechten und die rechtsextremen Parteien Rückenwind haben.

Wenn man nun die Umfrageergebnisse addiert, dann stellt man fest, dass sich rund 80 % (!) der französischen Wählerinnen und Wähler zu Parteien im Spektrum „mitte-rechts bis rechtsextrem“ wiederfinden. Nicht nur, dass das „linke“ Wählerpotential schmilzt wie Schnee in der Sonne – angesichts des unglaublich schwachen „Führungspersonals“ der linken Parteien ist auch nicht mehr damit zu rechnen, dass sich daran etwas bis zum nächsten Jahr ändert. Dass in der Umfrage ausgerechnet Jean-Luc Melanchon der stärkste „linke“ Politiker ist, spricht Bände. Der Chef der PS, Olivier Faure, hat es tatsächlich geschafft, die „alte Dame PS“ vollständig an die Wand zu fahren.

Trotz gegenteiliger Verlautbarungen der „Präsidialpresse“, zu der die rund 40 größten französischen Medien gehören (und die so gleichgeschaltet ist, dass Frankreich im Ranking zum Thema „Pressefreiheit“ bei Transparency International auf Platz 33 geführt wird, einen Platz hinter Ghana), sind sich die Franzosen mittlerweile darüber klar, dass das „Experiment Macron“ ein Schlag ins Wasser war. Durch seine arrogante Art, seine Unfähigkeit zur Befriedung sozialer Spannungen und dem amateurhaften Management der Pandemie-Krise hat die „Macronie“ das Vertrauen der Franzosen verspielt. Doch als einzige Alternative scheint nur noch die rechtsextreme Marine Le Pen übrig zu bleiben und das ist beunruhigend. Während die Linke implodiert, kommen auch die Grünen nicht in die Gänge. Trotz ihrer Erfolge bei den Kommunalwahlen 2020, als grüne Kandidatinnen und Kandidaten die Rathäuser in 6 der 10 größten französischen Städte erobern konnten, scheinen die Grünen auf nationaler Ebene weiterhin kaum eine Rolle zu spielen.

Sollte es 2022, genau wie 2017, zu einer Stichwahl zwischen Emmanuel Macron und Marine le Pen kommen, ist ein Sieg Macrons alles andere als sicher und inzwischen kann man nicht einmal mehr mit Gewissheit sagen, dass es wünschenswert wäre, dass die Franzosen erneut gegen den le Pen-Clan stimmen. Macron hat in den letzten zwei Jahren einen Gesetzesrahmen geschaffen, der mehr wie „digitaler Totalitarismus“ aussieht, in dem eine nach der anderen die individuellen Freiheiten abgeschafft wurden. Ob nun Macron selbst diese Entwicklung weiterführt oder ob dieses „Arsenal der Repression“ dann in die Hände von Marine Le Pen fällt, ist fast egal.

Die unglaubliche Schwäche der „linken“ Parteien, deren historische Unfähigkeit einer gemeinsamen Mobilisierung gegen einen gemeinsamen politischen Gegner, haben zur Implosion des „linken“ Spektrums geführt. Dass ausgerechnet der linksextreme Selbstdarsteller Jean-Luc Melanchon der stärkste „linke“ Kandidat ist, zeigt, dass die französische Linke Jahre brauchen wird, bis sie wieder so etwas wie ein Profil gewonnen hat. Doch so lange beispielsweise die sozialistische PS, vor drei Jahren immerhin noch Regierungspartei, von einem Olivier Faure geleitet wird, kann keine Bewegung in das linke Spektrum kommen.

Frankreich wird also 2022 vor einer bitteren Wahl stehen. Entweder beschreitet man den Weg des „digitalen Totalitarismus“ unter Emmanuel Macron weiter, oder man begibt sich gleich in die Hände der rechtsextremen Populisten. So oder so – das sind Perspektiven, die ziemlich düster sind. Für Frankreich und für ganz Europa.

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