Worauf läuft die Entwicklung in Syrien hinaus?

Dass der Krieg in Syrien in erster Linie ein Stellvertreterkrieg Russlands gegen die USA ist (und umgekehrt), das wusste man. Doch jetzt greift auch noch China ein. Es wird mehr als brenzlig.

Ganz Syrien brennt. Und dieser Brand könnte sich schnell ausweiten. Foto: Bo Yaser / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.5

(KL) – Niemand versteht mehr richtig, wer in Syrien eigentlich gegen wen kämpft. Wenn man sich an den Ausgangspunkt dieses Krieges erinnert, der eigentlich ein Bürgerkrieg war, erscheinen die Dinge noch „einfach“. Es gab einen Widerstand gegen den syrischen Diktator Bachir al-Assad, der angesichts der Gräueltaten Assads, der Zehntausende Regimekritiker verschwinden ließ, militanter wurde. Als Assad dann mit massivsten Mitteln zurückschlug, nahm das Drama seinen Lauf. Und dieses Drama hat nun das Zeug, sich zum III. Weltkrieg auszuweiten. Denn mit China greift nun die dritte Großmacht in den Konflikt um Syrien ein – und der Westen sieht sich erstmal der geballten Macht der bislang sträflich unterschätzten „BRICS-Staaten“ (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) gegenüber.

Bleiben wir noch einen Moment bei der Entwicklung hin zu diesem Konflikt. Nachdem die Auseinandersetzung zwischen Assads Regierungstruppen und den Rebellen immer massiver wurde und die Rebellen in Städten wie Homs immer mehr unter Druck gerieten, sickerten aus dem Irak immer mehr Kämpfer des „Islamischen Staats“ ein, angeblich, um die Rebellen bei ihrem Kampf zu unterstützen, in Wirklichkeit aber, um das Land selbst zu übernehmen. Das Hauptquartier des „Islamischen Staats“ in Syrien wurde die Stadt Rakka, die so weit im Norden liegt, dass auch die Kurden in diesem Grenzgebiet zwischen Syrien, der Türkei und dem Irak in die Kämpfe eingriffen.

Dazu verlagerte die internationale „Koalition der Willigen“ ihre Luftangriffe nach Syrien, angeblich, um dort den „IS“ zu treffen, der sich immer weiter in der moslemischen Welt ausbreitete. Der Westen bombardierte angeblich die Stellungen des „IS“ (traf dabei aber meistens Zivilisten), Russland griff ein und bombardierte angeblich die Stellungen der Rebellen um Diktator Assad im Sattel zu halten und die Türkei nutzte die „Gunst der Stunde“, um gleichzeitig angeblich gegen den „IS“ auf syrischem Gebiet, vor allem aber gegen die Kurden im Grenzgebiet zwischen den drei Ländern vorzugehen. Daraus entwickelte sich eine Situation, in der die Konfrontation gar nicht mehr um die Auseinandersetzung zwischen Assads Truppen und die syrischen Rebellen ging, sondern sich in einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA (und „dem Westen“) gegen Russland entwickelte. Ein wenig so, wie damals in Vietnam.

Die Positionen sind inzwischen so festgefahren, dass alle diplomatischen Bemühungen nicht mehr fruchten. Immer wieder finden „Friedensgespräche“ statt, immer wieder werden diese abgebrochen und worum es bei diesem Krieg wirklich geht, das erkennt man daran, dass die „Friedensgespräche“ zwischen den USA und Russland stattfinden, während keine der syrischen, kurdischen oder türkischen Parteien an diesen Gesprächen teilnimmt.

Wie rücksichtslos sich Amerikaner und Russen in Syrien ihren Krieg liefern, erkennt man gerade in Aleppo, dieser Stadt, die zum Symbol grausamen Sterbens mutiert ist.

Und jetzt greift auch China ein. – Doch jetzt kommt eine neue Dimension in diesen Konflikt, die das Pulverfass vollends zum Explodieren bringen könnte. Denn mit China greift nun die dritte Großmacht in diesen Krieg ein. Eine chinesische Flotte mit Schiffen des Typs 054 ist vor der syrischen Küste eingetroffen, mit hochmodernen Raketenwerfern und Flugabwehrsystemen ausgestattet und die chinesischen Schiffe sind dort, um gegebenenfalls einzugreifen, sollten die Amerikaner und ihre „Koalition der Willigen“ tatsächlich ihren Plan wahrmachen und in den kommenden Tagen Hunderte Luftschläge gegen die Hauptstadt Damaskus fliegen.

Dieses Szenario ist der schiere Wahnsinn, der tatsächlich zu einem neuen Weltkrieg führen kann. Denn wenn die USA und die NATO (an diesem Angriffsszenario auf Damaskus wollen sich insgesamt 14 NATO-Staaten beteiligen) ihren Plan umsetzen und die Koalition Russland-China-Iran entsprechend reagieren, dann steht nicht nur Syrien in Flammen.

Es handelt sich um ein Szenario, das billigend mehrere Dinge in Kauf nimmt. Zum einen nehmen alle Kriegsparteien in Kauf, dass Syrien dem Erdboden gleich gemacht wird. Syrien zählte einst 22 Millionen Einwohner, von denen geschätzt die Hälfte auf der Flucht ist, rund 6 Millionen Syrer haben es ins Ausland geschafft (wobei Jordanien, der Libanon und die Türkei mit Abstand am meisten Flüchtlinge aufgenommen haben und die europäische Weigerung, solidarisch ihren Teil an dieser Katastrophe abzufedern, ist eines der größten Versagen der Europäischen Union seit ihrer Gründung), die Übrigen irren durch das völlig zerrissene Land, in dem kaum noch erkennbar ist, wer gerade welchen Landstrich kontrolliert. Doch das Schicksal der Syrer scheint weder die Amerikaner noch die Russen und schon gar nicht den Diktator Assad zu interessieren. Das ist das Eine.

Doch der Wahnsinn aller Beteiligten nimmt ebenfalls in Kauf, dass ein Krieg beginnt, der nicht nur den Nahen und Mittleren Osten betreffen wird, sondern sich zwangsläufig zu einem Flächenbrand entwickeln wird. Bei dem „Armdrücken“ zwischen Ost und West wird es allerdings nur Verlierer geben. Denn parallel wütet auch der „IS“ weiter, parallel wird es weitere Terroranschläge überall auf der Welt geben und man muss ebenfalls damit rechnen, dass Wladimir Putin die Gelegenheit nutzen wird, seinen Traum vom großen Russland umzusetzen und seinem Land nach und nach wieder die ehemaligen Sowjetrepubliken einzuverleiben. Ähnliches wird auch der türkische Präsident Erdogan versuchen, der ebenso wie Putin von einem neuen „ottomanischen Reich“ träumt.

Für Vernunft ist nur noch wenig Zeit und alle diplomatischen Kanäle scheinen ausgereizt zu sein. Doch sollte sich niemand der zynischen und irrigen Hoffnung hingeben, dass es möglich sei, diesen Konflikt auf Syrien zu beschränken – dieser Krieg ist längst auf der ganzen Welt angekommen und wird sich mit jedem Luftangriff, mit jedem bombardierten Krankenhaus, mit jedem abgeschossenen Kampfjet weiter verschlimmern.

Qui bono? – Und so sei die Frage gestattet, wem dieser Krieg eigentlich nützt. Die Antwort ist schnell gefunden – wie jeder Krieg nützt auch dieser einzig und allein der Rüstungsindustrie, die täglich Millionen mit dem Sterben der syrischen Bevölkerung verdient. Sich über die schockierenden Bilder des kleinen Aylan aufzuregen, das nützt nicht viel. Denn in Syrien sterben täglich Dutzende, Hunderte kleiner Aylans, während wir in Europa darüber diskutieren, mit welchen Diktatoren man am besten kooperiert, damit die Opfer dieses Kriegs, an dem wir über die NATO alle selbst beteiligt sind, nur nicht zu uns kommen.

Es ist nicht mehr 5 vor 12, es ist bereits 12. Wenn nicht sofort eine ganz andere Richtung eingeschlagen wird, erleben wir in den kommenden Tagen den Ausbruch eines Kriegs, der alles in den Schatten stellen könnte, was wir aus den Geschichtsbüchern über Kriege wissen. Fangen so die großen Kriege an? Vor den Augen aller, die hilflos mit den Schultern zucken und denken, dass man ohnehin nichts daran ändern könnte? Warum geben Deutschland und Frankreich nicht den Ton vor, indem sie sich geräuschvoll aus dieser unheiligen „Koalition der Willigen“ verabschieden und jede weitere Kriegstreiberei versuchen zu verhindern? Wenn es je an der Zeit war, sich über die Zukunft unseres Planeten Sorgen zu machen, dann ist es heute. Wenn es blöd läuft, haben wir morgen keine Gelegenheit mehr dazu.

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