Worauf wartet Emmanuel Macron?

Die Krise in Frankreich nimmt bedrohliche Ausmaße an. Doch statt die Situation zu befrieden, gießen alle Beteiligten weiter munter Öl ins Feuer. Dabei wäre jetzt der richtige Moment zu handeln.

Emmanuel Macron spielt auf Zeit, doch die Zeit spielt gegen ihn. Auch, wenn der Imperativ auf dem Spruchband wohl nicht geplant war... Foto: François GOGLINS / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – 18 Akte, Tausende Verletzte und Verhaftete, Sachschäden in Millionenhöhe, ein Wachstums-Stopp der Wirtschaft, ein nicht bezifferbarer Imageschaden für das Land, eine tief gespaltene Gesellschaft und ein Ende ist nicht absehbar. Frankreich hat sich selbst in eine unglaubliche Krise manövriert, die sich von Woche zu Woche verschärft. Worauf wartet Präsident Macron, um endlich konkrete Maßnahmen zu ergreifen? Das, was die Regierung gerade tut, ist jedenfalls nicht geeignet, das Land zur Ruhe zu bringen.

Nach den Gewaltexzessen vom letzten Wochenende will die Regierung nun handeln. Doch die repressiven Maßnahmen, die sie angekündigt hat, um Demonstrationen verbieten zu lassen und härter gegen gewaltbereite Schläger aus dem links- und rechtsextremen Lager vorgehen zu können, die Ankündigung, wieder intensiver die von der UNO geächteten Hartgummi-Geschosse einzusetzen, werden die Situation nicht beruhigen. Im Gegenteil, so dringend nötig es ist, den urbanen Terroristen Einhalt zu gebieten, so versteht in Frankreich niemand mehr, warum die Regierung auch nach vier Monaten dieser das ganze Land ermüdenden Demonstrationen nicht in die Gänge kommt.

Gewiss, Macron hat die „Großen Nationalen Debatten“ durchgeführt, ein interessantes Format, bei dem Zehntausende von Vorschlägen im ganzen Land gesammelt wurden, die nun gerade in Paris ausgewertet werden. Dass ein ganzes Reformpaket das Ergebnis dieser Debatten sein muss, ist jedem in Frankreich klar. Doch während es offenbar unproblematisch ist, innerhalb weniger Stunden Beschlüsse zu fassen, mit denen das ohnehin gerade amputierte Demonstrationsrecht weiter eingeschränkt wird, ist die Regierung nicht imstande, wenigstens diejenigen Forderungen der Franzosen umzusetzen, die nach allen Umfragen riesige Mehrheiten bei den Franzosen finden, wie beispielsweise die Wiedereinführung der Reichensteuer ISF, eine Forderung, die von mindestens drei Vierteln der Franzosen unterstützt wird. Es gibt keinen Grund, die Reformen, von denen klar ist, dass sie kommen müssen, so lange hinaus zu zögern, wie dies nur möglich ist. Macron spielt auf Zeit, doch die Zeit spielt gegen ihn. Ob ihm das seine Berater im Elysee-Palast verschweigen?

Der Dialog, den Emmanuel Macron mit seinen Landsleuten gestartet hat, könnte ein Weg sein, wie auch künftig ein ständiger Austausch zwischen Staat und Bürgerschaft gestaltet werden könnte. Doch würde es die mehr als angeschlagene Glaubwürdigkeit des Präsidenten und damit seiner Regierung und des Staats stärken, würde er ein Zeichen der Bereitschaft aussenden, nicht nur zu reden, sondern zu handeln. Da viele der Forderungen, die in Frankreich deutlich mehrheitsfähig sind, klar auf dem Tisch liegen, könnte bereits seit geraumer Zeit mit der Umsetzung begonnen werden. Und zwar so, dass keiner der Beteiligten das Gesicht verliert. Den erklärten Willen des Volks umzusetzen, das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eines gesunden Demokratie-Verständnisses. Wenn der Staat mehrheitlich getragene Forderungen aus der Bevölkerung erfüllt, dann geht er nicht etwa vor Demonstranten in die Knie, sondern zeigt, dass er verstanden hat, dass nicht etwa der Staat über sein Volk herrscht, sondern dass das Volk der oberste Souverän ist.

Das Abwarten auch nach 18 Akten, die immer gewalttätiger werden und längst von extremistischen Staatsfeinden aller Couleur unterwandert sind, hält die Rebellion am Köcheln. 18 Akte, bei denen die „Gelbwesten“ es nicht geschafft haben, sich zu organisieren, sich zum Gesprächspartner für einen sozialen Dialog zu machen, oder sich auch nur am stattgefundenen Dialog zu beteiligen, sollten eigentlich Grund genug für die Regierung sein, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen, statt es der Gewalt auf der Straße zu überlassen und nur zu reagieren.

Dass die Auswertung der strukturierten Rückmeldungen der „Großen nationalen Debatten“ einige Wochen in Anspruch nehmen wird, ist klar. Diese Zeit muss man der Regierung auch lassen. Doch ist das kein Grund, nicht bereits jetzt gemeinsam mit den Sozialpartnern an die konkrete Umsetzung der wichtigsten Themen zu gehen? Die Vorstellung, dass nach diesem Zeitpunkt die ersten Ideen für ein Reformpaket Ende April / Anfang Mai zu erwarten sind und dann vermutlich aufgrund der Europawahl auf Juni und dann aufgrund der Komplexität des Themas auf die Zeit nach der Sommerpause verschoben werden könnte, zeichnet den Weg zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Frankreich auf.

Nicht die TV-Zeit ist ausschlaggebend, von der hat Emmanuel Macron mehr als genug. Seit Wochen sieht und hört man mehrere Stunden am Tag auf allen Nachrichtensendern und er redet, redet und redet. Und er hört auch zu. Um dann wieder zu reden, zu reden und zu reden. Doch die Franzosen wollen ihn nicht reden hören, sondern handeln sehen. Das, und nur das, könnte das erschütterte Vertrauen der Franzosen in die Politik (nach Umfragen haben 9 von 10 Franzosen „wenig“ oder „überhaupt kein“ Vertrauen in die Politiker) langsam wieder herstellen. Wäre es nicht die Aufgabe eines Präsidenten, in einer solchen Krisensituation alles daran zu setzen, diese Situation zu beruhigen, die Ordnung wieder herzustellen, indem er auf die Ursachen der Krise reagiert und sich nicht nur um die (bislang mehr als erfolglose) Repression der Demonstranten zu kümmern?

Will Emmanuel Macron nicht selbst die kommenden Wochen weiter vergiften, muss er jetzt anfangen zu handeln. Nicht irgendwann, jetzt.

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