Würde Julian Alexej heißen…

… und die EU hätte sich nur einmal so um den australischen Whistleblower Julian Assange bemüht wie jetzt um den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, dann wäre Assange heute wohl frei.

Kämpft für Nawalny, ignoriert Assange - "EU-Aussenminister" Josep Borrell. Foto: European Parliament from EU / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Um es vorweg zu sagen: Was Russland gerade rund um den Oppositionellen Alexej Nawalny mit Schauprozessen, Massenverhaftungen und Geheimdienstaktionen treibt, ist verabscheuungswürdig. Schauprozesse, Massenverhaftungen und Geheimdienstaktionen sind immer verabscheuungswürdig, gleich, in welchem Land sie passieren. Doch fällt auf, dass die EU gerade ein tiefes Zerwürfnis mit Russland in Kauf nimmt, um sich für Nawalny einzusetzen, aber keinerlei Versuch unternommen hat, den in einem britischen Hochsicherheits-Gefängnis nach Einschätzung der UNO gefolterten Julian Assange zu retten. Messen die EU und ihr „Außenminister“ Josep Borrell mit zweierlei Maß? Oder ist der so offensiv vorgetragene Humanismus doch eher politisch orientiert?

Ein Aufschrei ging durch die europäischen Hauptstädte. „Freiheit für Nawalny!“, das forderten praktisch alle europäischen Staats- und Regierungschefs. Abgesehen davon, dass Alexej Nawalny eine höchst zwielichtige Gestalt ist, mit engen Anbindungen an ultranationalistische Kreise in Russland, ist es erstaunlich, was die EU aufs Spiel setzt, um diesen Mann auch politisch zu protegieren. Hat die EU plötzlich Geschmack an der freien Meinungsäußerung gefunden? Bei einem Gespräch Borrells mit dem russischen Außenminister Lawrow in Moskau sank die diplomatische Temperatur auf den Gefrierpunkt. Nach dem Gespräch, bei dem Borrell die sofortige Freilassung Nawalnys forderte, fasste Lawrow die aktuellen Beziehungen zwischen der EU und Russland so zusammen: „Für uns ist Europa kein zuverlässiger Partner mehr“.

Sich für inhaftierte Oppositionelle einzusetzen, ist eine noble Sache. Allerdings wäre sie deutlich nobler, würde die Verteidigung humanistischer Werte nicht so selektiv erfolgen. Putin vors Schienenbein zu treten, das macht Freude, vor allem, da es ja nicht ungerechtfertigt ist. David Cameron, Theresa May oder Boris Johnson unter Druck zu setzen, damit Großbritannien seine Folter-Praxis und ungerechtfertigte Inhaftierung Assanges beendet, dazu reichte es dann allerdings nicht. Dass Deutschland und die EU Nawalny nach dem Giftanschlag auf sein Leben unbürokratisch aufgenommen hat, ist großartig – doch warum niemand in der EU während acht langer Jahre auf die Idee gekommen ist, Julian Assange eine ähnliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, ist unverständlich.

Die Verlockung, einen potentiellen Konkurrenten des Moskauer Tsars zu stärken und damit Unruhe in die ohnehin angespannte politische Lage in Russland zu tragen, war wohl zu groß. Die Briten offensiv wegen der Folter Assanges anzugehen, das war wohl weniger verlockend.

Aktionen wie die ostentative Forderung der Freilassung Nawalnys werden erst dann glaubwürdig werden, wenn sich die EU für all diejenigen einsetzt, die unter Unrechtsregimen zu leiden haben. Und dass die Solidarität der EU auf den undurchsichtigen Nawalny fällt, die gleiche EU aber weiterhin tapfer ignoriert, dass die Briten Foltermethoden gegen einen international hoch dekorierten Journalisten und Whistleblower einsetzen, das macht die ganze Geschichte dann doch zur Farce.

Denn die einzig glaubwürdige Forderung der EU müssten lauten: „Freiheit für alle politischen Gefangen, Journalisten, Whistleblower!“ Aber darauf werden wir wohl noch lange warten…

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