Zahlen wir den Griechen unsere Schulden – jetzt!

Als die Nazis die Stadt Xania auf Kreta besetzten, war die Stimmung prächtig. Jetzt, wo der damals erpresste Zwangskredit zurückgefordert wird, ist sie es schon weniger. Foto: Bundesarchiv Bild 183-H25246 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Nach dem Abitur verbrachte ich ein Jahr auf der Insel Kreta, in einem kleinen Dorf namens Azogires, in der Nähe von Paleochora, und eines Tages nahm mich ein alter Mann, der mich gerne mochte, bei der Hand und nahm mich mit auf einen Spaziergang. „Ich will dir etwas zeigen“, sagte er. Weit außerhalb des Dorfes erreichten wir einen Friedhof, wo ungefähr 150 von den Nazis erschossene Widerstandskämpfer beerdigt waren. Bis zu diesem Tag wusste ich nicht, dass die Nazis bis hierher gewütet hatten, bis in die entferntesten Dörfer Kretas, wo es selbst in den 80er Jahren weder Strom, noch Fernsehen, noch Radios oder Zeitungen gab – es gab dort nicht, doch die Nazis waren da gewesen.

Warum ich Ihnen das erzähle? Die Nachkriegsgenerationen wissen viele Ding nicht, die während des II. Weltkriegs passiert sind, und das gilt auch für mich. Der Horror, den die Nazis den Griechen angetan haben, steht nicht in unseren Schulbüchern – dort liest man nur von Stalingrad, von Dresden, der Landung der Alliierten oder noch von El-Alamain. Aber nicht von Griechenland. Was zum Teil den Mangel an Empathie der Deutschen gegenüber den Griechen erklärt, ohne diesen zu rechtfertigen.

Man sollte sich an diese Zeit erinnern, um die deutschen Schulden richtig zu bewerten, die von der neuen griechischen Regierung heute eingefordert werden. Erscheint auch die rechtliche Würdigung dieser Schuld schwierig, so ist sie moralisch gesehen klar. 1942 hatten die Nazis die griechische Nationalbank gezwungen, ihnen einen „Kredit“ von 476 Millionen Reichsmark zu gewähren. Heute würde diese Summe mit Zinsen einem Betrag zwischen 11 und 70 Milliarden Euro entsprechen. Und diesen Betrag hat Deutschland nie zurück gezahlt.

Deutschland führt zwar an, dass man 1960 einen Betrag von 115 Millionen DM an Griechenland gezahlt habe. Das stimmt, doch war dieser Betrag für die Entschädigung der zahlreichen griechischen Opfer des Nazitums gedacht. Und hatte dementsprechend nichts mit diesem „Zwangskredit“ zu tun, den die Nazis im Vorbeigehen mitgenommen hatten. Daher kann man diese 115 Millionen DM unmöglich mit der Aussage „Aber wir haben doch gezahlt“ anführen.

Die Juristen jubilieren bei solchen Fällen und werfen die abstrusesten Fragen auf. Ist die Bundesrepublik tatsächlich der Rechtsnachfolger von Nazideutschland? Kann die BRD für die Verbrechen der Nazis verantwortlich gemacht werden? Da, wo jeder vernünftig denkende Mensch ohne Zögern mit „Ja“ antwortet, lautet die Antwort der Juristen „ja, vielleicht, nein, das muss man noch einmal prüfen“. Recht und Moral gehen eben nicht immer Hand in Hand.

Wenn man die juristischen Spitzfindigkeiten einmal außer Acht lässt, dann muss man festhalten, dass Deutschland diesen „Kredit“, der 1942 mit vorgehaltener Waffe erpresst wurde, nie zurückgezahlt hat. Moralisch wäre es richtig, würde Deutschland sein Portmonnaie zücken (das gut gefült ist – Deutschland hat von den Krisen in Griechenland profitiert wie kein anderes Land) und bezahlt.

„Halt“, sagen die deutschen Juristen, „im `4+2`-Vertrag, der die deutsche Wiedervereinigung definiert, steht schwarz auf weiß, dass Deutschland keine Reparationszahlungen mehr für die Nazizeit zahlen muss“. Stimmt, das steht in diesem Vertrag. Doch wäre die Rückzahlung dieses „Zwangskredits“ keine „Reparation“ im Sinne dieses Begriffs. Andere Frage: Durften Deutschland und die Alliierten eine solche Klausel ohne die Zustimmung aller betroffenen Länder festlegen? Niemand hat Griechenland gefragt, ob es diese Zahlungen Deutschland für alle Zeiten erlassen wolle. Die rechtliche Lage ist so kompliziert, dass sich die Juristen Jahrzehnte lang an ihr abarbeiten könnten.

Doch Griechenland hat keine Jahrzehnte Zeit, um seine Krise zu überwinden. Das Land erlebt gerade eine menschliche Katastrophe und die Moral will, dass Deutschland reagiert. Und zwar nicht, indem es neue Regeln der Austerität durchsetzt, nicht, indem es billige Tipps gibt, wie Griechenland zu regieren ist, sondern indem es das Geld auf den Tisch legt. Das Geld, das Deutsche den Griechen gestohlen haben. So einfach ist das.

Eine solche Geste würde nicht nur ein endloses Rechtsverfahren verhindern, das teuer und wenig ehrenvoll für Deutschland wäre, sondern es wäre eine Geste der Solidarität, der Brüderlichkeit und des europäischen Zusammenhalts. Es ist eine Schande, die Griechen, denen Deutschland 1942 die Summe von 476 Millionen Reichsmark gestohlen hat, zu Bettlern zu machen, denen man das vorenthält, was man ihnen gestohlen hat. Das reiche Deutschland, das wie kein anderes von Krisen profitiert, hat die Verpflichtung, diese Schuld sofort zu bezahlen. Wobei die Bewertung, wieviel heute diese 476 Millionen Reichsmark wert sind, unabhängigen Experten überlassen werden sollte. Deren Bewertung dann auch kommentarlos übernommen werden sollte.

Und nein, das schreibt kein griechischer Bürger, sondern ein Deutscher, der sich dafür schämt, dass sein Land sich im Jahr 2015 noch so verhält, als sei der II. Weltkrieg nur ein „technisches Detail“ der Geschichte gewesen.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste