Zauberflöte statt Blockflöte: Advent in der Rheinoper

Alles so trist hier im Advent? Wo bleibt der leuchtende Baumschmuck? Aber es gibt Abhilfe: Warum nicht einfach Mozartkugeln an die Tanne und dann ab in die Rheinoper. Dort sorgt die „Zauberflöte“ für eine zauberhafte Stimmung in der Vorweihnachtszeit - und einem guten Gewissen...

Wohin wird uns diese Straßburger Zauberflöte unter der Regie einer Marionettenspielerin führen? Nach ersten Fotos aus den Proberäumen zu urteilen, könnte es ein Ausflug in die Welt der Plüschtiere sein. Ab Donnerstag werden wir es dann genau wissen. Foto: Illustration von Laura Junger, OnR

(Michael Magercord) – Ach, ein wenig Liebe in traurigen Zeiten täte gut… Doch was passiert in solch angespannten Zeiten, wenn man dann ganz plötzlich von einer Überdosis Liebe geradezu überrumpelt wird? Wird es eine zauberhafte Überwältigung oder beginnt man aus lauter zeitgenössischer Skepsis gegenüber allzu üppigen Gefühlswallungen die besonders finsteren Löcher des Herzens auszuleuchten? In der Rheinoper zu Straßburg darf man nun zur Adventszeit hören, wie es einst ungezwungen wallte, und dabei zuschauen, wie man nun heute damit umgehen wird: Mozarts Zauberflöte ertönt, betört und verstört ab nächsten Donnerstag die Liebenden und sich ungeliebt Fühlenden gleichermaßen, wenn sie sowohl auf der Bühne als auch im Zuschauerraum etlichen Prüfungen ausgesetzt werden, die es zu bestehen gilt, will man zu einem besseren – und somit allseits geliebten – Menschen werden.

Diese Testreihe jedenfalls soll der Sinn und Zweck der Übung sein, den Mozarts Librettist Emanuel Schikaneder hinter seinem turbulenten und doch so märchenhaften Singspiel verborgen hat. Ein Prinz mit der Zauberflöte und der Vogelfänger mit seinem magischen Glockenspiel müssen drei Prüfungen in besonders anspruchsvollen Fächern bestehen: Mündigkeit, Verschwiegenheit und Standhaftigkeit. Das wird ganz schön knifflig, nutzt in diesen Disziplinen doch all das Üben nichts. Doch schließlich wird Gut und Böse die Fronten wechseln und trotzdem wird der Weisheit letzter Schluss wohl doch wieder gezogen werden, den wir Zuschauer auch heute noch bewerten müssen und letztlich vielleicht sogar bewundern dürfen.

Tamino, Papageno, Sarastro und Monostatos, Pamina, Papagena und die Königin der Nacht – schon die Namen der Prüflinge klingen wie Musik in den Ohren ihrer Testatoren. Und wären es nur die musikalischen Klänge, die zur Prüfung anstehen, stünde das Urteil schon fest: Ein liebenswertes Meisterwerk, das seine unverwüstliche Treue zu Interpreten und dem Publikum seit über zwei Jahrhunderten ausreichend bewiesen hat. Und wer kennt sie nicht: die Arie Nr. 14, in der die Königin der Nacht in hellsten Tonfolgen die Höllenrache, die in ihrem Herzen kocht, beträllert?

Aber nun hat die „Zauberflöte“ eben doch auch einen seinerzeit höchst aktuellen Hintergrund und eben auch eine Botschaft. War Mozart ein eingefleischter Freimaurer? Also einer dieser Moralapostel aus Vernunft? Immerhin war er Mitglied der Wiener Loge „Zur neugekrönten Hoffnung“ und wie es schien, nahm er sogar seine oftmals doch ziemlich verbohrten Logenbrüder zur Vorlage für die Figuren dieser Oper. Vor allem Sarastro sollte eine Art von Großinquisitor der Aufklärung darstellen, der vor unlauteren Mitteln zur Durchsetzung seiner Überzeugungen nicht zurückschreckt. Und in dem musikalisch-magisch-versierten Papageno soll sich Mozart selbst verbergen – und seine Kritik an einer Vernunftreligion, die Gefahr läuft, totalitär zu werden.

Womit wir dann auch im Heute angekommen wären. Denn eine dieser Figuren, der finstere Monostatus, treibt als dunkelhäutiger Mohr sein Unwesen. In seinem Text stehen sogar die Zeilen: „Alles fühlt der Liebe Freuden, schnäbelt, tändelt, herzet, küsst, und ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist?“ Ist dieser Monostatos seinerzeit als rassistische Witzfigur gedacht gewesen, als übersexueller und dümmlicher schwarzer Mann, über den es sich trefflich lachen ließ? Stand auch dieser Bühnenfigur – wie vermutet wird – ein Logenbruder Mozarts Pate, lebten doch damals nicht wenige Afrikaner an den europäischen Höfen? Packte Mozart schließlich das schlechte Gewissen, als er am Ende der Oper seinen Alter Ego, den Vogelhändler Papageno, sich fragt lässt: „Bin ich nicht ein Narr, dass ich mich schrecken ließ? Es gibt ja schwarze Vögel in der Welt, warum denn nicht auch schwarze Menschen?“

Heute fällt das Urteil meist nicht so milde aus, für manche ist es klar: Mozart und seinesgleichen waren Rassisten. Zeitgenosse und Vernunftphilosoph Immanuel Kant sah die „Weißen“ in der Pflicht, Menschen aus „heißen Ländern“ zu „belehren“, und die „Vernunftreligion“ rechtfertigte im frühen Kapitalismus Ausbeutung, Versklavung und eben auch die Verballhornung dunkelhäutiger Menschen auf den Opernbühnen.

Allerdings gibt es noch eine andere Interpretation der Rolle des Monostatus, auf die der Dirigent Hartmut Haenchen aufmerksam machte: Hinter der exotischen Verkleidung verbergen sich heimische Bösewichte. Im damaligen Wien verstand man unter einem „Schwarzen“ nämlich einen Jesuiten-Mönch – und damit ein Vertreter der übelsten Gegner der Aufklärung und natürlich auch des Freimaurertums. Also nicht Rassismus wird auf der Bühne zur Schau gestellt, sondern eine vor der Zensur verschlüsselte Kritik am übereifrigen Klerus und der Inquisition. Was sich übriges auch darin zeigt, dass der böse Monostatos schließlich ungestraft davonkommt – wie damals im richtigen Leben die Mönche. „Mozart“, so Haenchen, „hatte also viel von seinen Utopien verloren und fing nun an, ein mehr realistisches Bild von der Welt und seiner Entwicklung zu zeichnen“. Und tatsächlich endete die Inquisition schon bald darauf, während den Inquisiteuren niemals wirklich der Prozess gemacht wurde.

Ja, das wäre natürlich eine Möglichkeit, Mozart in dieser lebensnahen Ernüchterung zu folgen und einfach auch mal alle Fünfe gerade sein zu lassen, zumal, wenn es um eine von altersher überlieferte Kunstoper geht. Aber diese Einstellung passt so gar nicht in unsere Zeit, in der man auf den Gedanken verfallen kann, die Forderung, das Tragen einer bestimmten Haarpracht nur Menschen mit einer bestimmten Hautfarbe zu erlauben, sei so gar nicht rassistisch. Was also soll man in so einer angestrengten Stimmungslage machen mit dieser mozartanten Hinterlassenschaft? Etwa dieses als übelstes Machwerk geoutete Meisterstück einfach nicht mehr aufführen? Oh nein, so soll es wohl doch nicht kommen. Und wer wollte denn ernsthaft heutzutage noch die finstere Rolle, in der der böse Mann auch noch die unschuldige Pamina vor die Wahl stellt, ihm ihre Liebe zu schenken oder zu sterben, einer als dunklen Mohren gekennzeichneten Figur zu überlassen?

So steht vor jeder Aufführung der Zauberflöte die Frage: Wie halten wir’s mit Monostatus? Die heikelsten Textzeilen hat man schon verändert, nicht ein „Schwarzer“, sondern ein „Diener“ oder „Sklave“ ist jetzt hässlich. Und auf die Idee, dem Sänger Schuhcreme ins Gesicht zu schmieren, kommt heute auch keiner mehr. Was dann? Es gab bereits einen blaugeschminkten Monostatus, einen Nosferatu oder Gespenster und Gothic-Figuren, und als Eunuche kam er auch schon einmal auf die Bühne. Und wenn, wie bei dieser Aufführung in Straßburg und Mülhausen, eine Regisseurin das Zepter führt, die sich im Marionettentheater ihren Namen gemacht hat, darf man besonders gespannt sein auf ihren Monostatus.

Was ihm aber bleibt, ist seine Hässlichkeit, wenn sie sich allerdings nun auf seine inneren Werte bezieht. Er ist und bleibt ein Kriecher, Stalker und Fiesling. Und siehe, es kann ja so einfach sein: denn schon ist die Welt nach einer kleinen äußerlichen Anpassung wieder in bester Ordnung, Gut und Böse sind eindeutig zuordenbar. Geht es dann diesem eindeutigen Bösen an den Kragen, dürfen sich die Zuschauer – durch die unverfängliche Inszenierung ebenso zu besseren Menschen geworden – an seinem Untergang mit reinstem Gewissen erlaben. Und alle können sich schließlich gegenseitig bestätigen: Prüfung bestanden – zumindest auf den Brettern, die die Welt ja doch nur bedeuten…

Die Zauberflöte - Oper von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem Jahr 1791
Libretto von Emanuel Schikaneder
Neuproduktion der Rheinoper Straßburg

Dirigent: Andreas Spering
Regie : Johanny Bert
Symphonieorchester Mülhausen OSM

Opéra Straßburg

DO, 8. Dezember, 20 Uhr
FR, 9. Dezember, 20 Uhr
SO, 11. Dezember, 15 Uhr
MO, 12. Dezember, 20 Uhr
MI, 14. Dezember, 20 Uhr
DO, 15. Dezember, 20 Uhr
SA, 17. Dezember, 20 Uhr
SO, 18. Dezember, 15 Uhr

La Filature Mülhausen

DO, 5. Januar, 20 Uhr
FR, 6. Januar, 20 Uhr
SO, 8. Januar, 15 Uhr

Tickets und Information: www.operanationaldurhin.eu

Rezital – “Sur les cimes du Romantisme“
Der Tenor Pavol Breslik mit Klavierbegleitung von Malcolm Martineau
Lieder von Dvořak, Schubert, Lizst und Schneider-Trnavský

FR, 16. Dezember, 20 Uhr in der Opera Straßburg

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