Zauberlehrlinge in Gelb

Bürgerkriegsszenen in Paris - „gelbe Westen“ greifen die französische Republik an. Getragen von einer breiten Masse können sich urbane Terroristen in aller Ruhe austoben.

Noch jubeln die "Gelbwesten" - aber die Stimmung schlägt nun in Frankreich um. Foto: ScS EJ

(KL) – Am Anfang war in Frankreich die Unzufriedenheit, die man gut verstehen konnte. Hohe Steuern, Armut, Preiserhöhungen, ein Präsident, der seine Landsleute fast permanent beleidigte und arrogant von oben herab behandelte, Skandale und Skandälchen, bei denen die Demokratie unter die Räder kam – die Menschen zogen sich gelbe Warnwesten an und fingen an, Verkehrsknotenpunkte zu blockieren und das Land lahm zu legen. Überrascht von ihrem eigenen Erfolg, standen die „Gelbwesten“ vor der schwierigen Frage, wie man sich organisieren soll. Und genau das klappte nicht. Durch die Gewaltorgie vom Samstag sind mittlerweile alle gefährdet: die legitimen Forderungen der Bürgerinnen und Bürger, die Regierung, der soziale und innere Frieden, die Wirtschaftslage, der Zusammenhalt des Landes und die Sicherheit der Menschen.

Schuld haben an dieser Entwicklung alle. Da sind die früheren Volksparteien, denen inzwischen das Volk abhanden gekommen ist, also Konservative und PS, die seit Jahrzehnten Frankreich an den Punkt geführt haben, an dem das Land heute steht. Die neue Regierung unter Präsident Macron hat seit Amtsantritt im Frühsommer 2017 vieles falsch gemacht, vor allem aber den Umgang mit der eigenen Bevölkerung. Einschnitte in soziale Errungenschaften, Steuergeschenke an die Superreichen, verbale Ausfälle gegen Rentner, Studenten, Arbeitslose und viele andere Bevölkerungsgruppen. Und Schuld an der Entwicklung haben auch die von ihrem eigenen Erfolg sichtlich überraschten „Gelbwesten“, wobei der Begriff schon gar nicht mehr aktuell ist, denn es gibt nicht DIE „Gelbwesten“, sondern Menschen, die sich aus hundert verschiedenen Gründen eine gelbe Warnweste anziehen und mit den anderen demonstrieren, blockieren oder eben auch zur Straßenschlacht gehen.

In der letzten Woche hatten die „Gelbwesten“ ihr Coming-Out und wurden über Nacht zu Stars der TV-Sendungen. Ganze Sendeabende wurden kurzfristig zu Diskussionsrunden umgestellt und Vertreter der „Gelbwesten“ diskutierten plötzlich mit Ministern und Abgeordneten. Und sie hatten zum ersten Mal freien Zugang zum landesweiten Fernsehen zur Prime Time und – sie verspielten diese Gelegenheit auf geradezu jämmerliche Art und Weise. Selbst ernannte „Volkstribune“, teilweise aus der ultrarechten Szene, von niemandem gewählt und folglich auch im Namen von niemand sprechend, traten großmäulig, drohend und inhaltslos vor den Kameras auf. Die einen zischten böse dazu auf, „am Samstag nach Paris zu kommen und zu demonstrieren, ihr werdet schon sehen, was euch am Samstag in Paris erwartet“ (was sich dann ja auch bewahrheitet hat) und präsentierten sich plan- und konzeptlos. „Wir wollen gehört werden!“ – „Sie sind live in einer landesweiten Fernsehsendung, sagen Sie uns, was Sie sagen wollen!“ – „Wir wollen gehört werden!“ – „Ja, wir hören Sie, was wollen Sie uns sagen?“ – „Wir wollen gehört werden!…

Am nächsten Tag lud Premierminister Edouard Philippe mit Umweltminister François de Rugy die „Gelbwesten“ zu Gesprächen in die heiligen Hallen seines Amtssitzes ein. Statt der 8 selbsternannten Sprecher der „Gelbwesten“ tauchte nur ein junger Mann in Jeans und Jacke auf, schlurfte ins Ministerium hinein und ein paar Minuten später wieder hinaus, weil sich der Regierungschef nicht einverstanden erklärt hatte, das Gespräch mit diesem unbekannten jungen Mann live im Fernsehen übertragen zu lassen. Gleichzeitig war durch einen Hintereingang eine andere „Gelbweste“ ins Ministerium gekommen und die sprach dann eine Stunde mit Edouard Philippe. Niemand weiß, wer diese „Gelbweste“ war, was besprochen wurde und worum es überhaupt ging. Dann tauchten Videos der selbsternannten Sprecher der Bewegung auf, in denen gefordert wurde, dass man nicht mit der Regierung sprechen sollte, nachdem sie zuvor eine Woche lang gefordert hatten, dass die Regierung mit ihnen spricht. Diese Struktur- und Ziellosigkeit schadet inzwischen dem ganzen Land.

Und dann kam der Samstag, mit seinen bürgerkriegsählichen Szenen, Paris brannte, die Schlachten rund um die Champs-Elysees dauerten vom Morgen bis tief in die Nacht. Frankreich war entsetzt. In der Provinz erklärten viele „Gelbwesten“, dass sie mit dieser Gewalt natürlich nichts zu tun hätten. Doch so einfach können sie nicht vergessen machen, dass sie genau dieser Gewalt eine Woche lang das Bett bereitet hatten. Eine Woche lang traten die „Gelbwesten“ offensiv und drohend auf, kündigten einen heißen Tanz für den Samstag an und schürten damit das Feuer. Davon, dass es dann am Samstag genau so kam, wie es angedroht worden war, können sich die „Gelbwesten“ als Bewegung, die eine gemeinsame „Uniform“ trägt, nicht selbst freisprechen. Die Zauberlehrlinge der Revolution riefen die Geister des gewaltsamen Umsturzes und verloren dann die Kontrolle über die Terroristen, die in Paris, aber auch in vielen anderen französischen Städten für Straßenschlachten sorgten. Oder anders gesagt, und das ist noch schlimmer, die „Gelbwesten“ unternahmen nichts, um die Schläger zu stoppen – und bildeten damit die schweigende, zustimmende Masse für diese Gewaltexzesse.

Man kann nicht eine ganze Woche lang genau solche Auseinandersetzungen ankündigen und befeuern, um dann, wenn sie stattfinden, zu erklären, dass man nichts damit zu tun habe.

Geradezu verantwortungslos ist das Verhalten der Oppositionsparteien, also der Rechtsextremen vom „Rassemblement National“, der Linksextremem der „France Insoumise“, der Konservative „Les Républicains“ und der Sozialisten. In der Hoffnung, ihren freien Fall dadurch bremsen zu können, solidarisieren sie sich öffentlich mit der „Bewegung“, verhöhnen die Regierung, der sie selbst genau die Probleme hinterlassen haben, um die es heute geht und stellen sich hinter diejenigen, die bereit sind, Frankreich der Gewalt der Straße auszuliefern. Bis vor anderthalb Jahren waren sie selbst für genau die Politik verantwortlich, gegen die sie heute ihre Landsleute aufstacheln.

Ab sofort müssen alle ihre Hausaufgaben machen. Die „Gelbwesten“ werden sich Gedanken machen müssen, wie sie kriminelle Elemente in ihren Reihen isolieren und ausgrenzen können, sie müssen sich strukturieren und auf nachvollziehbare Weise Vertreter bestimmen, die Ansprechpartner und Schnittstelle zur Politik sein können. Sie müssen ihre „Forderungen“ noch einmal überarbeiten, denn wenn viele der Forderungen der „Gelbwesten“ im sozialen Bereich absolut richtig und nachvollziehbar sind (Mindestlohn 1300 €, Rente nicht unter 1200 €, höhere Besteuerung großer Unternehmen, Erleichterungen für kleine Unternehmen, sofortige Bekämpfung der Obdachlosigkeit), sind die „politischen Forderungen“ mehr als seltsam. Die Vorschläge, die von Unbekannten ohne Mandat und Absprache mit der Bewegung formuliert wurden, sehen eine Art „Rätediktatur des Volks“ vor, die mit Sicherheit nicht mehrheits- oder auch nur diskussionsfähig sein wird.

Die Regierung muss sich jetzt gut überlegen, wie sie einerseits mit den „Gelbwesten“, andererseits aber auch mit den Franzosen insgesamt umgehen und kommunizieren will. Der seit Ausbruch der Unruhen nicht in Frankreich weilende Präsident Emmanuel Macron muss endlich sein „Jupiter-Gehabe“ einstellen und seine Regierung ganz anders aufstellen. Und zwar ernsthaft, denn die letzten beiden Wochen dürften der letzte Warnschuss gewesen sein, den seine Präsidentschaft erträgt.

Und auch die Franzosen müssen jetzt nachdenken und einen Gang herunterschalten. Die Auseinandersetzungen um die „Gelbwesten“ spalten inzwischen Familien, belasten Beziehungen und Freundschaften, vergiften die Atmosphäre am Arbeitsplatz.

Wenn jetzt nicht alle gemeinsam den Weg zurück zur Vernunft kommen, werden die „Gelbwesten“ genau das Gegenteil dessen erreichen, was sie wollen und Frankreich stürzt in die größte Regierungskrise der V. Französischen Republik. Doch als allererstes müssen die Gewalttaten und der Vandalismus aufhören. Man rettet kein Land, indem man es zerstört.

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