Zeit für alternativlose Experimente

Corona lässt die Wirtschaftsbosse erschaudern und nach dem Staat rufen, und siehe: Der Staat hat sie erhört. Die wirklich Leidtragenden sind jedoch jene ohne starke Stimme – aber mit guten Ideen: Grundeinkommen jetzt!

Wenn man etwas verändern möchte, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür! Foto: change.org

(Von Michael Magercord) – Finanzminister Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier haben staatliche Hilfspakete geschnürt und auf die Reise gebracht. Über 350 Milliarden Euro neue Schulden will die Bundesregierung dafür aufnehmen. Über die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau ist das Geld auf dem Weg gebracht – doch wer sind die Empfänger? In der Finanzkrise 2008 waren jene, die die Krise zu verantworten hatten, die größten Nutznießer – und sind es bis vor wenigen Tagen immer noch gewesen. Die Coronakrise hat den Wert der Spekulations-Portefeuilles von Spekulanten und anderen Börsianern nun doch ein wenig schmälert. Aber keine Sorge: Ihnen steht nach wie vor die EZB bei mit ihren Niedrigzinsen zur Seite, über die letztlich die Kleinsparer und Rentenfonds mit ihren entgangenen Zinseinnahmen das Geld zum Zocken zur Verfügung stellen.

Doch was nun? Die Kredite in unbegrenzter Höhe sollen an das fließen, was man so gerne „Realwirtschaft“ nennt. Kurzarbeitergeld geht an die Unternehmen, die damit die Lohneinbußen ihrer Mitarbeiter teilweise ausgleichen können, um Entlassungen zu vermeiden. Immerhin, nur hilft das in erster Linie Facharbeitern, die in höheren Lohngruppen sind, Menschen im Niedriglohnsektor, deren Gehalt auch so kaum reicht, werden wohl trotzdem in Schwierigkeiten geraten.

Noch wird nicht an direkte Hilfen für bestimmte Branchen gedacht. Da müssen wir wohl abwarten, wer nach der Krise seine Ansprüche am wirkungsmächtigsten anmelden kann. 2009 war es die Autoindustrie, die mithilfe der Abwrackprämie neben den Banken zum größten staatlichen Wohlfahrtsempfänger wurde. Das zeigt natürlich auch, wo eine Gesellschaft ihre Prioritäten setzt – man hätte ja seinerzeit auch das notleidende Druck- und Verlagswesen mit einer Kultur- und Bücherprämie unterstützten können? Gut getan hatte es der Gesellschaft langfristig jedenfalls nicht: Eine überalterte Industrie mit überalterten Verbrennungsprodukten wurde behäbig und uninnovativ. Ob nun das „Helikoptergeld“, ein einmaliger Einkaufsscheck zur Konsumankurbelung an alle, wie es in den USA angedacht wird, sich da als größerer Ansporn zu einem zeitgemäßen Produzieren auswirken würde? Zweifel sind zumindest erlaubt.

In Deutschland ist die Krisenpolitik an der Konsumfront bisher noch nicht aktiv. Dafür darf man sich wundern, was plötzlich alles möglich ist. Endlich ist Geld für Krankenhäuser da, was natürlich schon länger sinnvoll gewesen wäre – aber immerhin. Und jetzt hat die Politik auch noch ihr Herz für sogenannte Solo-Selbstständige entdeckt. Für diese stetig anwachsende Gruppe prekär-arbeitender Einzelunternehmer war bisher nur Hartz 4 die Endstation. Um gleich ein Missverständnis auszuräumen: soziale Grundversorgung ist eine großartige Errungenschaft und jede Gesellschaft, die sie für ihre weniger glücklichen Mitglieder bereitstellt, ist bewundernswert. Auch die Höhe der Zuwendung ist für jemanden, der nichts weiter hat, immerhin ausreichend, um das Leben zu sichern. Aber so manche Bedingungen seiner Auszahlung und dem Umgang mit Empfängern treffen Menschen, die ihr arbeitslebenlang für sich – wenn auch auf niedrigen Niveau – gesorgt haben, sehr hart. Nicht nur, dass man vom eigenen Staat wie ein Idiot behandelt wird, sondern auch weil die Fortsetzung der frei bestimmten Tätigkeit unmöglich wird, wenn man in auferlegten „Motivations- und Bewerbungsseminaren“ versauert, schlimmer noch: verbittert, und gerade jene Zeit dabei verplempert, die man besser nutzen könnte, um das eigene Geschäft wieder ins Laufen zu bringen.

Dieses Schicksal aber steht wohl nun vielen bevor, wenn sich nicht eine neue Ideen zur Krisenbewältigung findet. Bisher wird dabei an Kredite gedacht, teils sogar zinslose. Ob die aber das richtige Mittel sind? Wie soll ein Solo-Unternehmer die zurückzahlen, wenn der schon in guten Tagen kaum Rücklagen bilden konnte?

Deshalb lohnt sich ein Blick auf eine ganz andere, auch nicht mehr so neue Idee: Das bedingungslose Grundeinkommen. Tonia Merz, eine Modedesignerin, die sich – nach eigene Aussagen – über 19 Jahre lang mit fünf Angestellten auf dem Markt halten konnte, aber eben ohne Rücklagen bilden zu können, müsste unter den jetzigen Bedingungen ihr Geschäft schließen. Sechs Menschen würden sich dann beim Jobcenter und Sozialamt melden. Kredite können ihr nicht helfen, denn die Rückzahlung ließe sich nicht erwirtschaften. Ein direkter Zuschuss für die weggebrochenen Umsätze und Einkommen wären ein Mittel, die Arbeitslosigkeit der Betroffenen zu verhindern.

Oder aber eben ein Grundeinkommen von 800 bis 1.200 Euro pro Person für die kommenden sechs Monate nämlich, wie die Unternehmerin es nun anregt. „Schnell, unbürokratisch, zeitlich begrenzt“, schreibt Tonia Merz in ihrem Aufruf, der im Internet als Onlinepetition an die Minister Scholz und Altmaier zu finden ist. Das Grundeinkommen würde allen zugutekommen, niemand kann sagen: „Die kriegen wieder was, aber nicht ich“, und es würde auch an der Konsumseite ansetzen, aber eben nicht ausschließlich. Denn jeder ist frei, mit dem Geld zu machen, was er will: und dazu gehört auch, seinen Geschäften weiter nachzugehen.

Wie gesagt, neu ist diese Idee nicht – und Vorsicht: Auch das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Wundermittel, so sehr sich seine Apologeten das auch wünschen. Viele Prämissen sind eher Annahmen, die zum Teil auch noch in der industriellen Logik von verhaftet sind: Warum etwa sollte ein jeder fleißig werden, wenn er Geld für Nichtstun bekommt? Das wird vermutlich so nicht eintreffen. Aber in Anbetracht der noch viel größeren ökologischen Krise, die auf uns zukommt, wären in sich ruhende und bescheiden selbstzufriedene Menschen vielleicht nicht einmal der schlechteste Effekt eines Grundeinkommens. Und dass so etwas wie eine bedingungslose Grundversorgung kommen wird, steht für viele Experten ohnehin außer Zweifel. Mit der Digitalisierung wird das Solo-Unternehmertum ohnedies der Normalfall und mit der Alterung der Gesellschaft muss auf mittlere Sicht auch das Rentensystem auf eine auskömmliche Grundrente für alle umgestellt werden. Warum also nicht in diesen besonderen Zeitumständen das ohnedies Unausweichliche schon einmal in einem sechsmonatigen, allgemeinen Probelauf einüben?

„Eine bessere Möglichkeit, das Konzept Grundeinkommen zu testen, gibt es nicht – in der Krise liegt die größte Chance“, schreibt Tonia Merz in ihrer Onlinepetition – nutzen wir diese Chance doch jetzt einfach mal!

Hier geht’s zur Unterschriftenaktion fürs Grundeinkommen!

Zur Zeit, als dieser Artikel geschrieben wurde, hatten bereits gut 360.000 Menschen unterschrieben.

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