Zeitumstellung ist wie Coronavirus

Die Umstellung von Winter- auf Sommerzeit hat mehr mit dem grassierenden Coronavirus zu tun, als es auf den ersten Blick scheint. In beiden Fällen sieht Europa nicht gut aus.

Eine Stunde VOR stellen! Foto: Daniel FR, Plenz / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Heute Nacht sind die Uhren um eine Stunde vorgestellt worden. Bei der aktuellen Ausgangssperre ist das zwar schnurzegal, aber war da nicht was? Ganz kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode des letzten Europäischen Parlaments? Doch, man hatte versucht, sich auf eine europaweite Regelung zur Frage der Umstellung zwischen Sommer- und Winterzeit zu einigen. Danach sah es auch lange aus, 2021 sollte es dann so weit sein. Doch dann kamen die üblichen Bedenkenträger und heute sieht es so aus, als könnten sich die 27 EU-Mitgliedsstaaten eben doch auf keine einheitliche Regelung einigen. Doch wenn es die EU schon nicht schafft, sich in einer solchen, sagen wir mal, nicht weltbewegenden Frage zu einigen, dann versteht man auch, wieso die EU in der aktuellen Corona-Krise Wochen verstreichen ließ, in denen in Italien und Frankreich die Menschen starben, bevor man anfing, sich Gedanken darüber zu machen, dass es doch etwas peinlich ist dabei zuzusehen, wie China und Kuba den Italienern alleine helfen.

Der gemeinsame Nenner zwischen beiden Ereignissen ist die Unfähigkeit der EU zu handeln, außer wenn es darum geht, Milliardenbeträge in Banken zu pumpen. Darin hat man Erfahrung, das macht man gerne. Je mehr, je lieber und dafür gibt es einen einfachen Grund – wenn Geld in die europäischen Banken gepumpt wird, haben alle 27 etwas davon und alle holen sich ein Stück vom Kuchen. Geht es aber darum, in Not geratene Länder zu unterstützen, dann findet sich immer jemand, der sein Veto einlegt. Oft sind es die Visegrad-Staaten Ungarn, Slowakei, Polen und die Tschechische Republik, die blockieren, meistens wenn es um Themen der europäischen Solidarität geht, oder es ist Deutschland mit wechselnden Partnern, das den Kopf schüttelt, wenn innereuropäische Solidarität Geld kosten soll. Momentan sind es Deutschland und die Niederlande, die es ablehnen, die gigantischen Folgekosten der Corona-Krise gemeinsam zu tragen, in der Hoffnung, selbst mit einem blauen Auge davonzukommen, während andere europäische Volkswirtschaften auf eine Art Super-GAU zusteuern.

Jaha, tönt es aus Brüssel, aber schaut mal, wir schicken doch jetzt Schutzmasken nach Italien und nehmen Patienten aus dem Elsass und der Lombardei auf! Stimmt. Aber bevor sich Europa nur zu diesem kleinen, wenn auch wichtigen Akt der Solidarität durchringen konnte, mussten erst Tausende Menschen sterben.

Bis heute, bis zum 29. März 2020, mitten in einer Welle der Covid-19-Krise, gibt es nach wie vor nur einen informellen Austausch zwischen den Verantwortlichen. Schön eingepackt in den Hinweis, dass leider laut der Europäischen Verträge Europa nicht für die Gesundheit zuständig sei, das sei Sache der Mitgliedsstaaten. Geht’s noch? Tausende und Abertausende Europäer und Europäerinnen sterben und diese Sesselfurzer verschanzen sich hinter Paragraphen?! Und feiern sich selbst dafür, dass sie sich durchgerungen haben, die Stabilitätskriterien für den Euro auszusetzen und den Staaten damit eine höhere Schuldenaufnahme zu gestatten? Das ist alles schön und gut, für Deutschland ist das sogar revolutionär, von diesem goldenen Kalb der maximalen Neuverschuldung von 3 % abzurücken, aber begreifen diese Leute nicht, dass gerade Menschen unter den übelsten Bedingungen verrecken? Und dass es den Opfern, den behandelnden Ärzten, Krankenschwestern und -Pflegern momentan egal ist, ob ihre Regierung eine Neuverschuldung von 3,1 % oder 3,6 % machen darf, während die Ärzte entscheiden müssen, wen sie behandeln und wen sie sterben lassen müssen?

Das Europa, von dem die meisten träumen. – In dem Europa, von dem die meisten träumen, einigt man sich demokratisch mit einer Mehrheitsentscheidung im Parlament, ob man Sommer- und Winterzeit beibehält oder nicht. In dem Europa, von dem die meisten träumen, reagiert man in einer extremen Notsituation wie dem Coronavirus gemeinsam, mobilisiert alle gemeinsamen Ressourcen und setzt sie dort ein, wo sie benötigt werden, um Leben zu retten. Und wenn irgendein dämlicher Paragraf das verhindert, dann ändert man eben den Paragrafen oder setzt ihn erst einmal außer Kraft, um ihn später zu ändern und rettet gemeinsam Menschenleben, anstatt Juristen nach Begründungen für das Nichthandeln suchen zu lassen.

Die Menschen werden nach der Corona-Krise alles auf den Prüfstand stellen, das nicht dazu beigetragen hat, Tausende, Zehntausende Menschenleben zu retten. Denn ein Europa, das dazu ebenso wenig in der Lage ist wie zu entscheiden, ob man zweimal im Jahr die Uhr umstellt oder nicht, das braucht kein Mensch. Natürlich darf Europa nicht abgeschafft werden, aber es muss von Grund auf neu aufgebaut werden. Dieses Europa ist nur noch ein Erfüllungsgehilfe für finanzielle Interessen eines völlig korrupten Finanzsystems und in dieser Krise sieht man es deutlich – es ist momentan ein Europa, das keine Probleme damit hat, wenn Zehntausende seiner Bürgerinnen und Bürger unter schlimmsten Umständen verrecken. Die EU hätte sehr viel dazu beitragen können, die Situation zu erleichtern und sie hat es nicht getan, mit dem Hinweis, dass 2007 die entsprechenden Kompetenzen nicht an die EU übertragen worden sind.

Eine Bekannte hat das so umschrieben: Ich sehe einen Menschen, der gerade ertrinkt. Ich nehme den Rettungsring, habe aber dann Zweifel, ob der den europäischen Normen entspricht. Also sende ich eine Anfrage an die Kommission, denn ich will mich ja nicht strafbar machen, wenn ich diesem Menschen einen nicht den Normen entsprechen Rettungsring zuwerfe. Nach zwei Wochen kommt die Antwort aus Brüssel, dass der Rettungsring zwar nicht den Normen entspricht, man aber eine Sitzung der zuständigen Minister einberufen will, um die Frage zu klären, ob ich den Ring werfen darf oder nicht. Weitere zwei Wochen später kommt die vorläufige Erlaubnis unter juristischem Vorbehalt und ich laufe zum Wasser, um dem armen Menschen den Ring zuzuwerfen. Aber ich sehe ihn nicht mehr…

Vergessen Sie nicht, heute Ihre Uhr um eine Stunde VOR zu stellen.

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