Ein weiser Rückzieher…

Eigentlich wollte der französische Präsident Emmanuel Macron am Samstag neben anderen auch Marschall Philippe Pétain durch eine nationale Ehrung im Invalidendom beglücken. Nach heftigen Protesten fällt das nun zum Glück aus.

Die zwei verstanden sich wunderbar. Und keiner von beiden sollte jemals wieder eine wie auch immer geartete Ehrung erhalten. Massenmörder ehrt man nicht, man bekämpft sie. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-J28036 / Foto: Jäger, Oktober 1944 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Marschall Pétain, war das nicht…? Doch, war er. Der Marschall, der sich 1940 den Nazis unterwarf, der am 22. Juni 1940 am symbolischen Ort Rethondes (wo 1918 die deutsche Generalität die Kapitulation unterzeichnen musste) die französische Kapitulation unterzeichnen ließ, bevor er sich am 11. Juli 1940 zum Staatschef erklärte und fürderhin im besten Einvernehmen mit den Nazis die französische Regierung von Vichy aus steuerte. Diese Regierung bezeichnete General De Gaulle von London aus als „illegal und ungültig“. Nach dem Krieg wurde ihm der Prozess gemacht, und er wurde wegen Kollaboration mit dem Feind und Hochverrat am 15. August 1945 zum Tode und der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Aufgrund seines Alters wurde die Todesstrafe allerdings nicht vollzogen und er starb am 23. Juli 1951 in Haft auf der Ile d’Yeu. Und dieser Marschall sollte am Samstag durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in den Genuss einer „nationalen Ehrung“ kommen. Doch zum Glück hat sich die Vernunft im Elysée-Palast nach kurzem Urlaub zurückgemeldet. Geehrt werden nach heftigen Protesten nur noch die fünf im Pariser Invalidendom bestatteten Marschälle Foch, Lyautey, Franchet d’Esperey, Maunoury und Fayolle. Und nicht etwa Marschall Pétain, der Mann, der über 70.000 französische Juden in die Gaskammern der Nazis schickte. Ob der Mann nun Held im I. Weltkrieg war oder nicht, das spielt keine Rolle, wenn man sich mit einem Menschen befasst, der kaltblütig und am Schreibtisch über 70.000 seiner Landsleute in den sicheren Tod schickt. Trotzdem bleibt unverständlich, wieso Macron diese geplante Ehrung gestern noch den ganzen Tag lang verteidigt hatte.

Alleine die Nennung des Namens des Städtchens Vichy im französischen Zentralmassiv weckt bei vielen Franzosen ein bedrückendes Gefühl. Das autoritäre Regime von Marschall Philippe Pétain, die “Vichy-Regierung”, arbeitete emsig mit den Nazis zusammen, organisierte mit großem Eifer die Deportation von französischen Juden in die Vernichtungslager der Nazis und verfolgte Widerstandskämpfer. Im Nachgang des II. Weltkriegs war es dann allen Franzosen klar – dieser Mann war ein Nazi-Freund und Hochverräter, der seine Zukunft an der Spitze eines unter der Fuchtel der Nazis stehenden französischen Satellitenstaats sah. Und diesen Mann wollte Emmanuel Macron ehren?

Klar, Marschall Pétain war im I. Weltkrieg ein Held, wird als „Sieger der Schlacht von Verdun“ bezeichnet, ordnete die französischen Truppen 1917 nach einer Meuterei und war beim Ende des I. Weltkriegs Oberkommandierender der alliierten Truppen. Sehr sinnig war der Kommentar des Chefredakteurs des Magazins “OrNorme” Jean-Luc Fournier, der schrieb: “Wenn mich nicht alles täuscht, war auch der unsägliche Hermann Göring im ersten Weltkrieg ein Fliegeras und Kriegsheld, bevor er zu einer der schlimmsten Bestien der Nazis wurde. Man stelle sich vor, Angela Merkel würde heute einen Staatsakt für die Verdienste Görings im I. Weltkrieg organisieren…“.

Aber was ritt Emmanuel Macron zu dieser völlig unverständlichen Rehabilitierung eines Hochverräters und Nazifreunds? Wem wollte er was damit beweisen? „Marschall Pétain war im I. Weltkrieg ein großer Soldat“, sagte Macron und fügte hinzu, dass Pétain im II. Weltkrieg „unverzeihliche Entscheidungen getroffen hat“. Und in diesem einen Punkt hat Macron Recht. Zum Beispiel die Entscheidung, die bis heute eine klaffende Wunde im Herzen der französischen Seele ist, das „Vel d’Hiv“, als Pétain am 16. und 17. Juli 1942 auf Wunsch der Nazis im Pariser Radsport-Zentrum „Vélodrome d’Hiver“ mehr als 13 000 Juden zusammentreiben ließ, die dann in die Vernichtungslager transportiert und umgebracht wurden. Wie fleißig die Vichy-Schergen dabei vorgingen, kann man in einer Depesche des Statthalters der Nazis in Paris lesen, der sich in einem Telegramm nach Berlin beklagte, dass die französische Polizei viel mehr Juden verhaftet hatte und “anliefern” würde, als man so kurzfristig der Gaskammer zuführen konnte.

In der Tat hatte es Emmanuel Macron in seiner bisherigen Amtszeit noch nicht geschafft, sich auch beleidigend gegenüber den Juden zu äußern. Das wäre damit also auch erledigt. Den in den Jahren 1939-1945 nach Adolf Hitler größten Feind und Verräter des französischen Volks mit einer „nationalen Ehrung“ im Pariser Invalidendom ehren zu wollen, darauf muss man erst einmal kommen.

Jetzt stellt sich aber vor allem eine Frage: Wer war der inspirierte Berater, der es schaffte, Macron dieses unglaubliche Vorhaben abblasen zu lassen? Am Abend beeilte sich der Elysée-Palast, per Twitter mitzuteilen, dass “natürlich” nur die fünf im Invalidendom bestatteten Marschälle geehrt werden, also nicht der Landesverräter Pétain. Das las sich dann als ein grosses Missverständnis, als habe Macron “natürlich” nie vorgehabt, diese Ehrung vorzunehmen. Dann hätte er allerdings nicht den ganzen Tag über Aussagen wie “es ist nicht meine Rolle, mich darum zu kümmern, ob sie [die Franzosen] geschockt sind oder nicht” treffen und die Ehrung Pétains verteidigen müssen. Sei’s drum, die gute Nachricht lautet: Es gibt eine vernünftige Stimme im Umfeld des Präsidenten, die offenbar in der Lage ist, Macron seine nicht ganz so göttlichen Ideen auszureden. Ob das Brigitte Macron war? Oder jemand anderes? Auf jeden Fall: Herzlichen Dank an diese Person, die im letzten Moment verhindert hat, dass Frankreich den grössten Unterstützer der Nazis in Frankreich postum ehrt. Es gibt Momente, in denen wünscht man sich, dass einen jemand kneift und dass das alles nur ein Albtraum war.

1 Kommentar zu Ein weiser Rückzieher…

  1. Michael Magercord // 10. November 2018 um 12:26 // Antworten

    Man versteht ohnehin nicht, wie man an diesem Tag überhaupt Generäle und andere militärischen Führungsfiguren ehren kann – feiern muss man das Ende dieses fürchterlichen Krieges, nicht die Kriegshandlungen. Gedenken muss man den Menschen, die beiderseits der Front verheizt wurden. Mahnen muss man, auf dass die nationalen Blindgänger aller Seiten nicht noch einmal eine derartige Katastrophe auslösen können.

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