Zwei Jahre Brexit – Großbritannien geht auf dem Zahnfleisch

Was war die Mehrheit der Briten nach dem Brexit freudetrunken! Endlich nicht mehr unter dem Joch von Brüssel! Zwei Jahre später ist das (noch) Vereinte Königreich in der Realität angekommen. Und die ist heftig.

Sooo übel war es dann doch nicht in der gemeinsamen Box... Foto: user 470906 at Pixabay / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Zweimal hatten die Briten per Votum die Möglichkeit, den Brexit zu verhindern. Zweimal taten sie dies nicht und sie gaben zu allem Überfluss beim zweiten Mal sogar Politclown Boris Johnson die Schlüssel des Landes in die Hand. Heute, zwei Jahre später, sind die Briten mit den Realitäten des Brexit konfrontiert und siehe da, in der Realität sieht das nationalistische Hochgefühl, das die Camerons, Mays, Johnsons und Farages stimuliert hatten, dann doch deutlich ernüchternder aus.

24 Monate nach dem Brexit erleben die Briten ebenso wenig „blühende Landschaften“ wie die Menschen im Osten Deutschlands zwei Jahre nach der Wiedervereinigung. Der große Unterschied ist aber, dass die Menschen in Ostdeutschland die Perspektive hatten, dass sich die Situation schrittweise verbessern würde, was sie ja auch tat, ohne dass inzwischen alles im Osten der Republik golden wäre. Doch in Großbritannien fehlen diese positiven Perspektiven – die Situation verschlechtert sich permanent und das liegt nicht nur an Covid. Boris Johnson hat das Vereinte Königreich an die Wand gefahren, Schottland bereitet sein Referendum über den Ausstieg aus Großbritannien vor und die Gedenkfeiern für den „Bloody Sunday“ am letzten Wochenende in Irland fielen schon lange nicht mehr so verbittert aus wie heute.

Großbritannien befindet sich in einer Multi-Krise. Die Regale sind leer, an den Tankstellen gibt es Lieferengpässe, zahlreiche Stellen, besonders im Dienstleistungs-Sektor bleiben unbesetzt, die sanitäre Krise wurde höchst seltsam gemanagt und das Schlimmste ist, dass in dieser vertrackten Situation ein Regierungschef am Werk ist, um dessen Zurechnungsfähigkeit man sich zuweilen ernste Sorgen macht. Und langsam wachen die Briten auf und das mit einem mächtigen Kater – der Brexit ist so verlaufen, wie es praktisch alle außerhalb Großbritanniens vorhergesehen hatten. Großbritannien 2022 ist wirtschaftlich und politisch immer isolierter und man hat das Gefühl, dass das Land seinem eigenen Schatten längst vergangener Tage hinterherläuft.

Inzwischen zeigen die Umfragen, dass rund 60 % der Briten vom Brexit enttäuscht sind und lieber wieder in der zuvor so verhassten EU wären. Die Schwierigkeiten und Hindernisse, die mit dem Brexit verbunden sind, treffen inzwischen praktisch jeden britischen Bürger. Forscher haben festgestellt, dass sogar 42 % derjenigen Briten, die für den Brexit gestimmt hatten, heute für einen Verbleib in der EU wären. Aber – das kommt etwas spät.

Großbritanniens Wirtschaft hängt in den Seilen und das Vereinte Königreich steht vor dem Zerfall. Die Irland-Frage ist heute aktueller als während der letzten 30 Jahre, der schottische Ausstieg aus Großbritannien zeichnet sich in den Umfragen immer deutlicher ab. Und an der Spitze der Regierung steht ein Feierlöwe, dessen politisches und diplomatisches Geschick etwa auf der Ebene eines Donald Trump anzusiedeln ist.

Die Briten können einem leidtun, auch, wenn sie diese Entwicklung mehr oder weniger sehenden Auges herbeigeführt haben. Überzogener Nationalismus und das Streben nach der Grandezza längt vergangener Tage führt heute ins Abseits. Und genau dort befinden sich die Briten heute.

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