Zwischen heute und morgen

Das gestern beschlossene „Anti-Schläger-Gesetz“ ist eine Antwort des französischen Parlaments auf die gewalttätigen Demonstrationen, die seit bald drei Monaten Frankreich erschüttern. Aber es ist vor allem eines: ein Fehler.

Beim Versuch, ein Instrument zur Rettung der Republik zu schaffen, hat die französische Regierung ein Instriment erschaffen, mit der die Republik abgeschafft werden kann. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Angesichts der sozialen Unruhen, die Frankreich seit Monaten erschüttern, greift die Regierung massiv in die Grundrechte ein, um sich selbst ein Instrumentarium zu schaffen, mit dem man von Paris aus landesweit steuern kann, wer wann wofür oder wogegen demonstriert. Lag diese Entscheidung bisher in den Händen der Justiz, von der man allgemein annehmen darf, dass sie unabhängig und treu nach den Gesetzen den Rechtsstaat garantiert (inklusive Bürgerrechten wie dem Recht auf Demonstrationsfreiheit), geht sie nun von den Verwaltungsgerichten auf den jeweiligen Präfekten über, also auf den „Statthalter“ der Pariser Zentralregierung. Und das ist nicht mehr und nicht weniger als ein Eingriff in von der Verfassung garantierte Grundrechte. Doch nicht nur das das: Das gestern geschaffene Instrument mag in den Händen einer verfassungstreuen Regierung keinen Schaden anrichten – doch in den Händen einer extremistischen Regierung (die Frankreich bereits bei der nächsten Präsidentschaftswahl erhalten könnte) könnte es zur Einrichtung eines totalitären und gleichgeschalteten Staats werden.

Blinder Aktionismus oder neue Handhabe gegen gewaltbereite Demonstranten? Die meisten „technischen“ Vorkehrungen des neuen Gesetzes waren eigentlich nicht richtig nötig. Denn die Gesichtsvermummung war ohnehin schon bei Demonstrationen verboten und dass das Recht auf Demonstrationsfreiheit daran gekoppelt ist, dass die jeweilige Demonstration nicht „die öffentliche Ordnung stört“, das ist bereits seit 1789 in der Erklärung der universellen Menschenrechte festgeschrieben. Hierfür hätte man kein neues Gesetz gebraucht. Der entscheide Punkt ist der Transfer der letzten Entscheidung, ob, wann und wo eine Demonstration stattfinden kann, von der Justiz auf die Exekutive. Die nun die Entscheidungsgewalt hat, sogar einzelnen Personen das Demonstrieren zu untersagen, wenn diese „eine besonders schwere Bedrohung für die öffentliche Ordnung darstellen“. Dass diese Entscheidung künftig nicht mehr von einem Richter getroffen wird, sondern von Beamten in der Verwaltung auf Anweisung „von oben“, ist sehr kurzsichtig gedacht.

Schon in zwei Jahren könnte Frankreich das neue „Anti-Schläger-Gesetz“ bitter bereuen. – Nämlich dann, wenn sich bei der Präsidentschaftswahl 2021 eine Kandidatin oder ein Kandidat aus dem extremistischen Lager durchsetzen sollte, was angesichts der aktuellen politischen Situation Frankreichs alles andere als eine unrealistische Option ist. Eine solche extremistische Regierung verfügt ab sofort über ein Instrument, mit dem sie jeden Protest schlicht und ergreifend verbieten und jede Übertretung eines Verbots mit der ganzen Härte des Staats durchsetzen kann. Ohne, dass die Betroffenen dagegen Rechtsmittel einlegen könnten, da es sich ja nicht mehr um ein rechtsstaatliches Verfahren, sondern um eine Entscheidung der Verwaltung handelt. Man stelle sich konkret vor, wie eine rechtsextreme Regierung unter Marine Le Pen brutale Maßnahmen gegen Einwanderer, Europa oder politische Gegner durchzieht und dabei jeden Protest dagegen verbietet und mit allen Mitteln der Staatsmacht unterbindet.

Eine konsequente Anwendung bestehender Gesetze hätte völlig ausgereicht. Doch die Regierung wollte den Franzosen zeigen, dass sie handlungsfähig ist und vor niemandem in die Knie geht. Nur, das ist keine Rechtfertigung für einen derart tiefen Eingriff in bürgerliche Grundrechte. Mit diesem neuen Gesetz kann künftig jede französische Regierung jeden Protest gegen ihre Politik einfach verbieten und im Ansatz ersticken, zivilgesellschaftliche Entwicklungen behindern und sogar unmöglich machen und die Vorstellung, dass diese Möglichkeit bereits in zwei Jahren der Fall sein könnte, jagt einem einen kalten Schauer über den Rücken. Wie die Abgeordneten, die das Für und Wider abzuwägen hatten, sich dafür entscheiden konnten, ein Instrument zu schaffen, das die Einrichtung eines totalitären Staats befördern kann, ist rätselhaft. Das neue Gesetz könnte ein weiterer Beitrag dazu werden, dass die schlimmsten Szenarien tatsächlich schon bald Wirklichkeit werden könnten. Der Versuch, ein Problem von heute zu lösen, legt den Grundstein für ein noch viel größeres Problem morgen, das eine konkrete Bedrohung darstellt. Und niemand sollte sagen, er oder sie hätte das nicht kommen gesehen.

3 Kommentare zu Zwischen heute und morgen

  1. Gibt es in FR ein Äquivalent zum Bundesverfassungsgericht?

    • Eurojournalist(e) // 7. Februar 2019 um 0:14 // Antworten

      Ja, die “Cour Consitutionnelle” und den “Conseil d’Etat”, die sicherlich hierzu noch etwas zu sagen haben werden.

  2. Hoffen wir, dass solch Treiben Einhalt geboten wird.

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