Was Sie schon immer zum Thema „Schlichtung & Co.“ wissen wollten… (16)

(16) - Heute: Interview mit einer Expertin aus Schweden – aus dem Land, in dem die Verbraucherschlichtung die längste Tradition hat.

Iwana Machocka ist ausgewiesene Expertin in Sachen Verbraucherschutz in Schweden. Foto: privat

(KL) – Iwona Machocka ist Expertin in Sachen Verbraucherschlichtung und lebt seit 15 Jahren in Schweden. Wie es so ist im Leben, hat sie eine Herzensangelegenheit in den hohen Norden gebracht, wo sie seit mehr als einem Jahrzehnt in Sachen Verbraucherschutz tätig war, unter anderem beim ECC Schweden. Interview.

In vielen EU-Staaten ist Schlichtung etwas ziemlich Neues. Seit wann gibt es in Schweden Schlichtungsstellen für Verbraucher-Unternehmer-Streitigkeiten?

Iwona Machocka: Schweden war eines der ersten Länder in Europa, die Verbrauchern und Unternehmen die Möglichkeit zur außergerichtlichen und unparteiischen Streitbeilegung gab. Bereits 1968 begann man mit der Streitbeilegung in einigen Branchen und 1981 wurde das Öffentliche Reklamationsamt – ARN (Allmänna Reklamationsnämnden) eine eigene staatliche Behörde. Das ARN ist unterteilt in 11 verschiedene Abteilungen, die für verschiedene Sektoren verantwortlich sind, wie zum Beispiel Reise, Bank, Motor, Allgemein. Damit deckt das ARN einen Großteil der rechtlichen Bereiche im Verbraucherrecht ab. Darüber hinaus gibt es aber sechs weitere außergerichtliche Streitbeilegungsorgane, die auf begrenzte Rechtsbereiche spezialisiert sind.

In unserer Serie haben wir bereits gesehen, dass Deutschland, Luxemburg und Österreich Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben: wie würden Sie außergerichtliche Streitbeilegung nach schwedischem Verständnis definieren?

IM: Das ARN arbeitet ähnlich einem Gericht. Es entscheidet in verbraucherrechtlichen Streitsachen auf eine einfache und schnelle, aber dennoch rechtssichere Weise und bietet deshalb eine echte Alternative zum Gerichtsverfahren. Das ARN führt keine eigenen Ermittlungen zum Sachverhalt durch. Der Verbraucher muss seinen Standpunkt darlegen und beweisen. Das gegnerische Unternehmen hat die Möglichkeit sich dazu zu äußern und Gegenbeweise anzutreten. Das Verfahren ist schriftlich, denn es werden keine Zeugen und Gutachter gehört. Der Beschluss erfolgt anhand der schriftlichen Darlegung und der Beweisführung entsprechend den Beweisführungsregeln, die auch vor Gericht gelten. Ausgangspunkt für den Beschluss ist geltendes Recht und die Rechtspraxis.

Auch grenzüberschreitende Fälle können entschieden werden, solange schwedisches Recht gilt. Das ARN ist deshalb auch eine Option für Verbraucher aus anderen Ländern, die einen Zwist mit einem schwedischen Unternehmen haben. Das ARN kann aber auch Empfehlungen gegenüber ausländischen Unternehmern treffen, die auf dem schwedischen Markt tätig sind. Das erleichtert unsere Arbeit im Netzwerk der Europäischen Verbraucherzentren ECC-Net in Fällen, in denen wir keine Lösung vermitteln können und die Parteien eine objektive Beurteilung des Falles anstreben. Zum Beispiel kann das ARN darüber entscheiden, ob ein Passagier das Recht auf Kompensation hat. Diese Beurteilung kann das ECC-Netzwerk nicht treffen.

Sind diese Stellen so gut bekannt, dass man als schwedische*r Bürger*in automatisch bei einem Problem an Schlichtung denkt? Und wenn ja, war das schon immer so oder hat es Zeit dafür gebraucht, bis sich das Konzept durchgesetzt hat? Mit anderen Worten: ist Schlichtung ein schwedisches Erfolgsmodell und wenn ja, war es das schon immer?

IM: Das ARN ist schon sehr lange etabliert und ein Begriff in Schweden. Zunächst gehörte auch die Verbraucherinformation zu den Aufgaben des ARN. Diese wurde doch Mitte der 80er Jahre auf kommunale Verbraucherinformationsstellen verlagert. Bei Fragen zu Verbraucherrechten wurden diese Verbraucherinformationsstellen zu einem natürlichen Anlaufpunkt, die bei Streitigkeiten auf das ARN verwiesen. Inzwischen gibt es eine zentrale Stelle für Verbraucherinformation unter der Regie des „Konsumentverkets“, genannt „Hallå Konsument“. „Konsumentverket“ ist die Staatliche Verbraucherschutzbehörde in Schweden. „Hallå Konsument“ antwortet auf alle verbraucherrechtlichen Fragen und verweist gegebenenfalls auf kommunale oder spezialisierte Verbraucherinformationsstellen. Das ECC Schweden ist seit einem Jahr ein Teil von „Hallå Konsument“ und wir bearbeiten ausschließlich grenzüberschreitende Fälle.

Das Konzept der außergerichtlichen Streitbeilegung hat sich in Schweden durchgesetzt. Obwohl die Entscheidung nicht bindend ist, lag die Erfolgsquote in den letzten Jahren bei 78/79 % und ist meist stetig gestiegen. In manchen Abteilungen, so bei Bank- und Versicherungsfällen, ist die Quote sogar bei 100 %. Das heißt, dass in circa 80 % der Fälle, die zugunsten des Verbrauchers entschieden wurden, das Unternehmen sich an die Entscheidung gehalten hat.

Das liegt zum einen daran, dass Unternehmen, die nicht entsprechend der Entscheidung des ARN agieren, in einer schwarzen Liste im Verbrauchermagazin Råd&Rön erscheinen. Zum anderen gibt es in vielen Branchen Organisationen mit Abkommen, die ihre Mitglieder dazu anhalten, den Entscheidungen des ARN zu folgen. In manchen Fällen garantiert die Branchenorganisation dies und tritt an die Stelle des Mitgliedsunternehmens und leistet Ersatz, falls das Mitgliedunternehmen es nicht tut.

Das ARN genießt das Vertrauen der Verbraucher gerade wegen dem hohen Anteil der Unternehmer, die der Empfehlung des ARN Folge leisten.

Kostet Schlichtung etwas? Für Verbraucher? Für Unternehmer?

IM: Das Verfahren ist kostenfrei für Unternehmer und Verbraucher. Als Behörde ist das ARN staatlich finanziert.

Ist das Verfahren freiwillig für beide?

IM: Nur ein Verbraucher kann ein Verfahren einleiten. Das Unternehmen wird angeschrieben und dazu aufgefordert, sich zu äußern. Sollte das Unternehmen sich nicht äußern, kann ARN anhand der dargelegten und ausreichend bewiesenen Sachlage entscheiden.

Über wie viele Anträge pro Jahr reden wir eigentlich? Und wie hoch ist die Beteiligung? Wie hoch ist die Schlichtungsquote?

IM: Vergangenes Jahr sind 20 713 Anträge beim ARN eingegangen und damit 28,5 % mehr als im Jahr 2018. 2020 verspricht einen neuen Rekord, was wegen der umfangreichen Streitfälle wegen der Corona-Pandemie nicht verwunderlich ist.

Von den im Jahr 2019 bearbeiteten 20 087 Fällen wurden 47 % in der Sache entschieden, 30 % wurden abgewiesen und 23 % anderweitig beendet, zum Beispiel weil sich die Sache erledigt hatte. In 40 % der entschiedenen Fälle fiel die Entscheidung zu Gunsten des Verbrauchers aus. In 78 % der zu Gunsten des Verbrauchers entschiedenen Fälle hat der Unternehmer gezahlt.

Stimmt es, dass – anders als in Deutschland – Schlichtungsstellen „naming and shaming“ praktizieren, also öffentlich machen, wer sich nicht auf Schlichtung einlässt?

IM: Nicht ganz. Das ARN publiziert keine Schwarze Liste. Die private Verbraucherorganisation Sveriges Konsumenter (Schwedischer Verbraucherverband)  veröffentlicht aber eine Schwarze Liste im Verbrauchermagazin Råd&Rön (Ratschläge & Einblicke). Dies ist möglich, da in Schweden das Öffentlichkeitsprinzip gilt. Jedermann kann die Dokumente von Behörden, die nicht der Geheimhaltung unterstellt sind, einsehen. Die schwarze Liste kommt zweimal im Jahr heraus. Auf Anfrage erhält Råd&Rön die Liste der Fälle, in denen der Verbraucher keinen Ersatz erhalten hat wie in der Entscheidung empfohlen. Beide Parteien werden nochmals angeschrieben, um sicherzustellen, dass kein Unternehmen fälschlicher Weise auf die Liste kommt. Die erste Liste wurde bereits 1969 zum ersten Mal veröffentlicht.

Sehen Sie das Risiko, dass Schlichtungsstellen eine Gefahr für Gerichte sind, bzw. nehmen sie ihnen wichtige Fälle ab, bei denen man eine Grundsatzentscheidung bräuchte?

IM: In Schweden ist es Tradition sich in verbraucherrechtlichen Streitigkeiten an das ARN zu wenden. Das ARN ist ein etabliertes Organ der Rechtsfindung und publiziert wegbereitende Beschlüsse. Nicht bindende Grundsatzentscheidungen werden getroffen und haben Gewicht. Wenn die Parteien jedoch anderer Auffassung sind bleibt der Weg zum Gericht offen.

Zu guter Letzt: Wie stehen Sie als Verbraucherschützerin zu Schlichtung? Welche Vor- und welche Nachteile sehen Sie?

IM: Verbraucherschutz bezweckt vor allem die finanziell und wissenstechnisch schwächere Partei in einem Vertragsverhältnis zu schützen. Außergerichtliche Streitbeilegung ist ein fantastisches Instrument, das dem Verbraucher ermöglicht seine Rechte auch durchzusetzen. Und das, ohne dass Verfahrenskosten entstehen. Ehrlich gesagt sehe ich keine Nachteile. Das Verfahren ist einfach, kostenfrei und für Verbraucher und Unternehmer gleichermaßen eine Möglichkeit der objektiven rechtlichen Beurteilung im Streitfall.

Iwana Machocka, vielen Dank für diese Informationen!

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