Der Wahnsinn geht weiter – „Nous sommes tous Danois“

Nach den Attentaten von Paris wurden in Kopenhagen erneut die Meinungsfreiheit, die Demokratie und unsere jüdischen Mitbürger angegriffen. Die Zeiten werden immer härter.

"Je suis Danois" - Ausdruck emotionaler Betroffenheit und großer Hilflosigkeit in Straßburg. Foto: Claude Truong-Ngoc / Eurojournalist(e)

(KL) – Vor der dänischen Vertretung beim Straßburger Europarat hat jemand ein kleines Papier aufgehängt, zusammen mit zwei weißen Rosen: „Je suis Danois“, steht auf dem Papier, ein trauriger Gruß nach Kopenhagen, wo man nach den Attentaten von Paris ebenfalls mit dem Slogan „Je suis Charlie“ Solidarität mit den Opfern der terroristischen Anschläge gezeigt hatte. Ja, heute sind wir ebenso „Dänen“, wie wir zuvor „Charlie“ waren und gleichzeitig sind wir „ägyptische Kopten“, „französische Juden“, „Braunschweiger Karnevalisten“. Dazu müssten wir eigentlich auch „Wir sind Ostukrainer“ sagen oder „Wir sind afrikanische Boat People“. Und ebenso „Wir sind IS-Opfer“. „Wir sind Griechen“, sowieso. Emotionale Bekundungen der Betroffenheit, gleichzeitig ein Ausdruck der Hilflosigkeit.

Es wird täglich offensichtlicher, dass mit der gesamten Systematik unserer marktwirtschaftlichen Weltordnung etwas nicht stimmt. Dass etwas grundlegend falsch läuft. Das sich vieles schnell ändern muss, wollen wir nicht zuschauen, wie sich unsere Welt von innen und außen in ihre Bestandteile zerlegt. Die politische Antwort auf die Dinge, die in der Welt vorgehen, ist beeindruckend. Die Grünen schlagen vor, einen „Internationalen Tag des Karikaturisten“ einzuführen. Das ist sicher eine schöne Geste, eine gut gemeinte Hommage an die Opfer von „Charlie“ und in Kopenhagen, natürlich, man kann das nur begrüßen. Aber es reicht leider nicht aus, an diese grundlegenden Dinge heran zu kommen, die ursächlich für viele der Horrormeldungen verantwortlich sind.

Jahrhunderte lang hat der „Norden“, sprich Europa, blendend davon gelebt, dass es den Rest der Welt ausgeplündert hat. Bis auf diejenigen Gegenden der Welt, die entweder selbst relativ gut organisiert waren, die zu abgelegen waren, als dass sich Expeditionen dorthin gelohnt hätten oder die wenigen Regionen, die sich erfolgreich gegen die westliche Zivilisation zur Wehr setzten. Damit wurden wir reich, begründeten mit der Industriellen Revolution ein weltweites Handelsnetz, mit dem wir immer reicher wurden und die Länder, in denen wir alles ausbeuteten, was zu Geld zu machen war, inklusive Menschenleben, wurden immer ärmer. Das klingt zwar furchtbar plakativ, aber leider war es eben genau so.

Heute strömen Menschen aus diesen Regionen der Welt, in denen es außer Hunger, Bürgerkriegen und Schreckensregimes von lokalen War Lords, von denen kein deutscher Asyl-Richter je gehört hat, nichts mehr gibt außer dem Tod und wir jammern, dass das Boot voll wäre. Stattdessen leisten wir generöse „Entwicklungshilfe“, wobei viel Geld in die Taschen korrupter Systemträger fließt, mit denen wir aus „wirtschaftlichen Interessen“ gerne zusammenarbeiten. Bis sie gestürzt werden. Dann haben wir sie auch schon immer schrecklich gefunden.

So lange Industriekonzerne Geld mit der Herstellung und Entwicklung immer neuer Waffensysteme verdienen, so lange werden sich Menschen damit auch umbringen. So lange kein Ausgleich „Nord-Süd“ stattfindet, so lange werden sich ausgebeutete und perspektivlose Menschen auf den Weg dorthin machen, wo sie ein besseres Leben vermuten, was für die hier lebenden Menschen ja auch stimmt. So lange Wirtschaft als höchstes Ziel den persönlichen Reichtum weniger verfolgt und nicht etwa ein Instrument ist, mit dem das Wohlergehen aller, und zwar wirklich aller, sichergestellt wird, so lange wird es gesellschaftliche Ungleichheiten geben, die sich angesichts einer immer weiter wachsenden Weltbevölkerung nicht mehr fortführen lassen. Ihre Entladung in barbarischer Gewalt hat bereits begonnen.

In einer vernetzten und globalisierten Welt ist die aufkeimende Sehnsucht nach dem kuscheligen Herd im Abendland ausgeträumt. Hass, Gewalt und Terror sind bei uns angekommen. Selbst im beschaulichen, liberalen Kopenhagen. Oder in Braunschweig. Die Zeiten, in denen die Kriegsbrände der Welt nur in den abendlichen Nachrichten vorkamen, sind vorbei. Die großen Konflikte unserer Zeit deklinieren sich nun auch auf kleinerer Ebene, tauchen vor der Haustür auf. Und wir merken immer noch nicht, dass das Herumgestocher der Politik, wie gut gemeint auch immer, nicht ausreicht?

Im 16. und 17. Jahrhundert schafften es die Rheinischen Humanisten, ohne Rücksicht auf nationale Grenzen, ohne moderne Reise- und Kommunikationslogistik ein „neues Denken“ zu entwickeln, zu propagieren, zu verbreiten, im Wesen künftiger europäischer Generationen zu verankern. Und wir schaffen es heute trotz Billigflügen, ICE-Verbindungen, Internet und Skype nicht, ein Denknetzwerk mit Menschen in anderen Ländern aufzubauen, das ein dem 21. Jahrhundert angepasstes „neues Denken“ ermöglicht? Können nur die Menschen in den Ländern des „Arabischen Frühlings“ oder in Zentraleuropa oder sogar in China moderne Technologien nutzen, um sich über anderes auszutauschen als über Modetrends, Einkaufstipps und Gutscheinaktionen? Oder sind wir im Vergleich zu den Humanisten des 16. und 17. Jahrhunderts, deren Gedankengut anfangs bei den Herrschenden alles andere als gern gesehen war, einfach zu abgestumpft angesichts des Horrors? Oder geht es uns einfach noch zu gut?

Irgendwann werden schlaue Köpfe ein neues Gesellschaftsmodell für die globalisierte Welt entwerfen, ein neues System, das keine Kopie der bereits zahlreich gescheiterten Modelle der Vergangenheit sein darf, ein System, in dem moderne Technologien nicht als Mittel der Überwachung und Repression, sondern als Träger moderner Dienste dienen, ein System, in dem nicht mehr all das hergestellt wird, was die Welt vergiftet und nur individuellen Profiten dient. Und hoffentlich denken sich die schlauen Köpfe dieses neue System möglichst schnell aus. Viel Zeit hat diese Welt nicht mehr.

Bis dahin kann man nur mit dem Kopf nicken, wenn man in Straßburg am dänischen Konsulat vorbeitgeht, kurz stehen bleiben und denken: „Ja, ich bin heute auch Däne“.

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