„Schreibt doch mal was Schönes!“…

… sagt und schreibt uns der eine oder andere Leser. Doch kann man ja auch schlecht die Augen verschließen und so tun, als sei alles in Ordnung. An unserer Stelle antwortet heute Erich Kästner auf diesen Wunsch.

Warum wir momentan nicht so viele "schöne" Themen haben, erklärte Erich Kästner schon vor fast 100 Jahren... Foto: Barbara Niggl Radloff / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Erich Kästner (1899 – 1974) war einer der wichtigsten deutschsprachigen Sprachkünstler des letzten Jahrhunderts, der nicht nur Kinder mit seinen Büchern erfreute, sondern während der Wirren des letzten Jahrhunderts hochpolitische und humanistische Inhalte hochfein in Prosa und Poesie verpackte. Auf die Frage, warum wir bei Eurojournalist(e) nicht mehr über „schöne Dinge“ berichten, gab Erich Kästner 1930 die nachfolgende Antwort. Im Jahr 1930 war Erich Kästner nicht der einzige Künstler, der dunkle Wolken aufziehen sah. Und daher danken wir ihm von Herzen, dass er vor fast 100 Jahren an unserer Stelle geantwortet hat.

Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?

Und immer wieder schickt ihr mir Briefe,
in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt:
„Herr Kästner, wo bleibt das Positive?“
Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.

Noch immer räumt ihr dem Guten und Schönen
den leeren Platz überm Sofa ein.
Ihr wollt euch noch immer nicht dran gewöhnen,
gescheit und trotzdem tapfer zu sein.

Ihr braucht schon wieder mal Vaseline,
mit der ihr das trockene Brot beschmiert.
Ihr sagt schon wieder, mit gläubiger Miene:
„Der siebente Himmel wird frisch tapeziert!“

Ihr streut euch Zucker über die Schmerzen
und denkt, unter Zucker verschwänden sie.
Ihr baut schon wieder Balkons vor die Herzen
und nehmt die strampelnde Seele aufs Knie.

Die Spezies Mensch ging aus dem Leime
und mit ihr Haus und Staat und Welt.
Ihr wünscht, daß ich’s hübsch zusammenreime,
und denkt, daß es dann zusammenhält?

Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht schwindeln.
Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts weis.
Es gibt genug Lieferanten von Windeln.
Und manche liefern zum Selbstkostenpreis.

Habt Sonne in sämtlichen Körperteilen
und wickelt die Sorgen in Seidenpapier!
Doch tut es rasch. Ihr müßt euch beeilen.
Sonst werden die Sorgen größer als ihr.

Die Zeit liegt im Sterben. Bald wird sie begraben.
Im Osten zimmern sie schon den Sarg.
Ihr möchtet gern euren Spaß dran haben …?
Ein Friedhof ist kein Lunapark.

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