Embedded (70)

Wir sind alle Verbrecher. Während des zweiten „Lockdowns“ hält praktisch niemand die Regeln ein. Zum einen, weil sie unklar und schwammig sind, zum anderen aus zivilem Ungehorsam.

Und warum bist du hier? Ausgangserlaubnis falsch ausgefüllt... Foto: JanVogel86 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Tag 70. Ausgangssperre. Nur – dieser zweite „Lockdown“, der eigentlich mindestens so scharf sein soll wie der erste, ist im Grunde eine einzige Ausnahme. Tagsüber herrscht munteres Leben in der Stadt, abends ist sie wie ausgestorben. Und dabei begleitet uns jeden Tag das Gefühl, als würden wir gegen Gesetze verstoßen und wir gewöhnen uns daran, Polizeikontrollen von weitem zu erkennen und weiträumig zu umfahren. Und auch den paranoiden Blick über die Schulter haben wir uns angewöhnt.

Kann es Sinn und Zweck von sanitären Maßnahmen sein, ein Klima der Angst zu schaffen? Unwillkürlich denkt man an andere Epochen und auch an andere Gegenden, in denen Polizeiwillkür und Unrechtregime herrschen. Dabei leben wir im Land der Menschenrechte, der Freiheit, der französischen Lebensart. Was von diesen Konzepten am Ende der Covid-Krise übrig bleiben wird, das wird man sehen.

Momentan ist das Umgehen der sanitären Vorschriften eine Art Sport geworden. Speziell die Ausgangsregelung, nach der man sich täglich einmal für eine Stunde im Umkreis von 1 km um die Wohnung herum die Beine vertreten darf, wird von vielen nicht eingehalten. Es ist allerdings auch nicht so richtig nachvollziehbar, warum man sich nicht im Freien aufhalten darf, wo sich keine Aerosole bilden und in der Luft halten können. Die Folge schwer nachvollziehbarer Vorschriften ist es, dass sie nicht eingehalten werden. Was interessiert es den Staat, wenn jemand 2 Stunden und 5 km durch den Wald läuft, sein Immunsystem stärkt und dabei niemandem über den Weg läuft?

Andererseits, und das kommt erschwerend hinzu, glaubt niemand mehr an das, was er oder sie hört. Zu viele Lügen, Falschmeldungen, undurchsichtige Interessenslagen – und schlecht oder gar nicht erklärte Maßnahmen.

Langsam kann man nachvollziehen, wie sich illegale Flüchtlinge fühlen müssen. Der Puls schnellt in die Höhe, sobald man eine Uniform sieht, die Angst kontrolliert zu werden und irgendetwas nicht richtig ausgefüllt oder gar die Ausgangsgenehmigung vergessen zu haben, die Sorge, dass ein Polizist die Einkäufe als nicht existentiell betrachtet und einen Strafzettel ausstellt… doch das ist die falsche Herangehensweise.

Wenn man möchte, dass die Bevölkerung bei den Maßnahmen mitzieht, dann muss man sie „mitnehmen“ und nicht pauschal kriminalisieren. Angesichts der Tatsache, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Vorgaben bezüglich Maske und Abstand respektiert, sollte man die Menschen loben und ermutigen, dies auch weiterhin zu tun. Ein ganzes Volk unter Generalverdacht zu stellen und ihm mitzuteilen, dass es künftig an jeder Verschärfung der Maßnahmen selbst schuld sei, das ist billig und lediglich der Versuch, die Verantwortung für das bisherige Versagen der Regierung auf die Bevölkerung abzuschieben. Es wird immer deutlicher, wie unterschiedlich doch der Umgang mit dieser Krise in den verschiedenen Ländern ist. Der autoritäre französische Ansatz ist nicht ungefährlich, denn die Geschichte zeigt, dass sich autoritäre Systeme unter Druck schnell in totalitäre System verwandeln. Ausgangssperre. Tag 70. Die Situation ist alles andere als entspannt.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste