Kurzzeitgedächtnis

Die Welt dreht sich immer schneller und die Nachrichten strömen von allen Seiten auf uns ein. Wir empören uns kurz – und vergessen. Menschlich, aber gefährlich.

Niemand kann dauernd den Blick auf das ganze Weltgeschehen richten. Foto: Lovestritart / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Heute dreht sich alles um die geplatzten Jamaika-Verhandlungen. Gestern drehte sich alles um die Asienreise von Donald Trump. Am Wochenende drehte sich alles um den aufblühenden Sklavenhandel in Libyen. All diese Themen, präsentiert in unendlich vielen Nachrichtenformaten auf allen Kanälen bis hin auf die Smartwatch am Handgelenk, drängen auf uns ein, hinterlassen einen Eindruck, und verschwinden ganz schnell wieder aus dem Kurzzeitgedächtnis, verdrängt von der nächsten Schlagzeile.

Wer spricht momentan noch von der Ukraine? Wer geht noch auf die Straße, weil Recep Tayyip Erdogan Journalisten und kritische Zeitgeister ins Gefängnis steckt? Wer interessiert sich noch für den nordkoreanischen Diktator? Wer sammelt noch Geld für die Hurrikan-Opfer? Und jeder weiß, dass sich diese Liste beliebig verlängern ließe. Der globalisierte Informationsfluss stumpft uns ab, sorgt für kurze Adrenalin-Schübe, drängt die gerade erhaltene und verstandene Nachricht sofort wieder in den Hintergrund. Wer wird sich schon über die Lage im Jemen aufregen, wenn gleichzeitig ein Da Vinci für 450 Millionen oder ein Neymar für 220 Millionen versteigert wird?

Selbst Themen wie TTIP, Glyphosat oder die Paradise Papers geraten schnell in Vergessenheit, ebenso wie der Abgasskandal von Volkswagen und anderen und das ist sie, unsere Kommunikationskultur: Aussitzen und hoffen, dass schnell die nächste Headline kommt, die alles andere verblassen lässt.

Niemand kann sich um alle Themen kümmern, die an einem einzigen Tag über den Ticker laufen. Also muss man seine Informationsquellen sorgfältig auswählen – mit lokalen, regionalen, nationalen, europäischen und weltweiten Medien. Die Digitalisierung erfordert, dass wir einen neuen Umgang mit Medien erlernen, anders lesen, anders Informationen aufnehmen, und anders diese Informationen mit Dritten teilen. Und man muss aufpassen, denn wenn die Informationen nur noch so auf einen einstürmen, wird man anfällig für Manipulationen.

Und ab und zu sollte man sich erinnern, was eigentlich grade alles so schief läuft, um bei den nächsten Wahlen besser zu stimmen. Denn wenn das Unaussprechliche zur Norm wird, dann läuft einiges richtig schief.

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