Das Moskauer Bataclan

Nur Stunden nach dem Gemetzel in der Moskauer Crocus City Hall, bei dem ebenso viele Menschen getötet wurden wie im Pariser Bataclan 2015, entwickeln alle ihre eigenen Narrative.

Wer oder was hinter dem Anschlag hier in der Crocus City Hall steckt, werden wir wohl nie erfahren. Foto: Brateevsky / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Wer tatsächlich hinter dem Gemetzel vom Freitagabend in der Musikhalle „Crocus City Hall“ im Norden Moskaus steckt, werden wir vermutlich nie erfahren. Doch während noch die Löscharbeiten an den brennenden Gebäuden liefen, hatte alle beteiligen und unbeteiligten Seiten bereits ihre eigenen Narrative zum Besten gegeben und versuchen jetzt, aus dieser menschlichen Tragödie Nutzen zu schlagen. Doch bislang bleibt alles Spekulation, bis auf dem Umstand, dass inzwischen mehr als 130 Tote zu beklagen sind und diese schreckliche Bilanz weiter steigen wird.

In der Tat passt bei diesem Terroranschlag nicht viel zusammen. Weder trägt er die typische „Handschrift“ von IS-Anschlägen, noch ist klar, warum der IS ausgerechnet jetzt einen solchen Anschlag auf Moskau verüben sollte. Klar ist nur, dass die Amerikaner Russland vor wenigen Tagen vor der Gefahr eines Anschlags gewarnt hatten, explizit bei Konzerten, so wie es jetzt unmittelbar vor dem Konzert der Rockband „Piknik“ der Fall war. Warum Putin diese Warnung als „Versuch der Destabilisierung Russlands“ weggewischt hatte, kann niemand sagen. Und woher die amerikanischen Geheimdienste wussten, was sich da zusammenbraute, ist auch unklar.

Angeblich wurden die Attentäter auf der Flucht gefasst. Das russische Fernsehen präsentiert diese Attentäter, die nach harter Behandlung das russische Narrativ bedienen, indem man aus ihnen das „Geständnis“ herauspresst, sie seien von dritter Seite angesprochen worden und man habe ihnen umgerechnet etwa 5000 € geboten, um diesen Anschlag zu begehen. Auch nicht gerade typisch für den IS und zudem kann niemand überprüfen, ob es sich tatsächlich um die Attentäter handelt. Auf jeden Fall reicht das Russland für die Behauptung, dass die Ukraine hinter dem Anschlag steckt.

Die Ukraine behauptete bereits wenige Augenblicke nach dem Attentat, dass es sich um eine „False Flag“-Aktion der russischen Geheimdienste handelt. Und nach kurzem Nachdenken entstand im Kreml das Narrativ, dass die Ukraine hinter dem Anschlag steckt. Möglich ist alles, bewiesen ist nichts.

Dabei gäbe es genug Gruppen und Gruppierungen, die einen „Grund“ hätten, einen solchen Anschlag zu begehen. Nationalisten aus Georgien, aus Armenien, aus Moldau, russische Oppositionelle, und viele mehr hätten Gründe, sich gegen Moskau zu wenden, weswegen alles momentan reine Spekulation bleibt. Doch dies ist der Moment, in dem alle versuchen, aus diesem furchtbaren Attentat politischen Nutzen zu schlagen. Und klar ist, dass dies zur nächsten Eskalationsstufe des Ukraine-Kriegs führt.

Und schon fliegen die Drohungen in alle Richtungen, Zeit für Trauer um die über 130 zumeist jungen Opfer dieses Anschlags gibt man sich nicht. Gewiss, heute ist in Russland ein nationaler Trauertag, doch auch an diesem Trauertag arbeiten die Dienste auf Hochtouren.

Atempausen gibt es im Ukraine-Krieg ohnehin nicht mehr, der Krieg entwickelt sich zu einem technologischen Schlagabtausch, bei dem Russland die ukrainischen Städte mit Raketenbeschuss belegt und die Ukraine russisches Territorium weit hinter der Grenze mit Dronen angreift, so dass selbst die Amerikaner Kiev bereits aufgefordert haben, die ständigen Angriffe auf Ölraffinierien in Russland einzustellen, um einen Anstieg des Ölpreises auf dem Weltmarkt und massive Vergeltungen Russlands zu verhindern. Diese „Bitte“ wurde allerdings von der Ukraine abgelehnt. Der Krieg erreicht nun eine Eigendynamik, die kaum noch jemand stoppen kann.

Doch während die Kriegsparteien alles daran setzen, einen Vorteil aus diesem fürchterlichen Anschlag zu ziehen, sollten die Gedanken den über 130 jungen Menschen, ihren Familien und Freunden gelten, die ebenfalls auf lange Jahre traumatisiert sein werden. Wer 2015 „Je suis Charlie“ und „Je suis Bataclan“ skandierte, der kann heute nur „Je suis Moscou“ sagen. Mögen sie in Frieden ruhen, nachdem sie im Krieg getötet wurden.

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