Die VI. Französische Republik hat begonnen

Bislang hat der neue französische Präsident Emmanuel Macron Wort gehalten. Er wollte das politische System aufmischen und das hat er mit seiner am Mittwoch ernannten Regierung auch getan.

Die Verkündung des neuen Kabinetts hat in Frankreich immer etwas sehr Zeremonielles... Foto: (c) Présidence de la République / G. Mariette

(KL) – Kein Zweifel, Frankreich ist „En Marche“ und das politische Frankreich wird sich nachhaltig verändern. Ohne, dass es jemand richtig gemerkt hat, ist die V. Republik mit ihrem starren und verkrusteten Links-Rechts-Wechsel friedlich eingeschlafen. Die traditionellen Parteien der alten Herren in grauen Anzügen haben ausgedient und werden so schnell nicht wiederkommen. Eine Analyse der neuen Regierungsmannschaft zeigt, dass ab sofort in Frankreich alles anders wird. Nur weiß noch niemand so genau, ob alles tatsächlich besser wird oder ob Macron das Land gerade in die politische Lähmung manövriert. Spannend wird es allemal – und das ist die neue französische Regierung.

Die Ernennung des neuen Premierministers Edouard Philippe war schon die erste Überraschung. Außer in der normannischen Hafenstadt Le Havre, wo der 46jährige Bürgermeister war, kannte ihn in Frankreich kaum jemand. Edouard Philippe ist eigentlich Mitglied der konservativen „Les Republicains“ und das ist nicht ganz unproblematisch. Zum einen staunt man, dass Macron einen konservativen Politiker zum Regierungschef ernannt hat, zum anderen stellt sich die Frage, was nun mit all den linken und rechten Politikern geschieht, die ihren eigenen Parteien in den Rücken gefallen sind und sich „En Marche“ angeschlossen haben. Wie glaubwürdig sind Politiker, die gleichzeitig mehreren, miteinander konkurrierenden Parteien angehören? Die beiden ehemaligen Volksparteien („Les Républicains“ und „Parti Socialiste – PS“) müssten laut ihrer Satzungen diese „Abtrünnigen“ eigentlich ausschließen, doch zögern diese Parteien einen radikalen Schnitt zu machen, denn danach blieben ihnen nicht mehr viel Mitglieder.

Das wichtige Außenministerium übernimmt hingegen ein früherer „Sozialist“, nämlich der bisherigen Verteidigungsminister Yves Le Drian. Sein Ministerium trägt den Zusatznamen Europaministerium und man darf gespannt sein, welche Überschneidungen es zur Ministerin für Europäische Angelegenheiten Marielle de Sarnez geben wird. Die Umbenennung des Außenministerium ist ein Signal, dass es die neue Regierung mit dem Thema Europa ernst meint.

Le Drians vorherigen Job übernimmt eine Politikerin, die man allgemein eher als Europaministerin erwartet hätte. Die überzeugte Föderalistin und Europaabgeordnete Sylvie Goulard ist durch und durch Europäerin und ihre Ernennung könnte ein Zeichen sein, dass es Macron mit seinen Plänen für eine gemeinsame europäische Armee ernst meint. Nur für Straßburg ist ihre Ernennung kein so gutes Signal – die Südfranzösin hat sich bereits mehrfach für einen Umzug des Europäischen Parlaments nach Brüssel stark gemacht.

Gérard Collomb ist der PS-Bürgermeister der Stadt Lyon und übernimmt das Innenministerium. Collomb wechselte bereits früh ins Macron-Lager und dürfte daher eigentlich nicht mehr PS-Mitglied sein. Ähnlich wie Edouard Philippe ist auch Collomb den meisten Franzosen kein Begriff und auf Ebene der nationalen Politik ein eher unbeschriebenes Blatt.

Aus dem konservativen Lager kommt der neue Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, der unter Sarkozy das Landwirtschaftsministerium leitete. Le Maire war Kandidat bei den konservativen Vorwahlen, bei denen er sang- und klanglos ausschied. Mit einem konservativen Regierungschef und einem konservativen Wirtschaftsminister deutet vieles darauf hin, dass die liberalen Tendenzen Macrons auch umgesetzt werden.

Das Justizministerium geht an den Chef der Zentrumspartei „Modem“, François Bayrou, der seit vielen Legislaturperdioden eine Art Mehrheitsbeschaffer ist, ein wenig wie die FDP in Deutschland. Als im Februar die Umfragen deutlich zeigten, dass er selbst keine Chance auf das Präsidentenamt hatte, wechselte er, wie so viele andere, einfach das Lager und handelte einen Deal mit Macron aus. Was er im Gegenzug für seine Unterstützung erhielt, das weiß man jetzt – einen warmen Ministerposten.

Ein echter Star übernimmt das Umweltministerium. Der frühere Naturfilmer und TV-Moderator Nicolas Hulot war lange so etwas wie der Bernhard Grzimek oder der Horst Stern des französischen Fernsehens mit seiner Sendung „Ushuaïa“. Der engagierte Umweltschützer, der keiner Partei angehörte, ist so etwas wie die „grüne Komponente“ der neuen Regierung. Man darf gespannt sein, ob er das umsetzt, was die Vorgängerregierung versprochen, aber nicht getan hat – die Schließung Fessenheims.

Als Haushaltsminister wurde ein junger Konservativer berufen, der 34jährige Gerald Darmanin. Der Bürgermeister der Stadt Tourcoing an der belgischen Grenze dürfte ein interessanter Ansprechpartner für Wolfgang Schäuble werden – zur Sprachbarriere kommt auch noch ein Generationskonflikt dazu. Das allerdings dürfte Schäuble vor größere Probleme stellen als Darmanin…

Und dann gibt es noch einige Minister, deren Ministerien für deutsche Ohren zum Teil ungewohnt klingende Namen haben. So wird Richard Ferrand „Minister für den territorialen Zusammenhalt“, was immer das auch bedeuten mag; Agnès Buzyn wird „Ministerin für Solidaritäten und Gesundheit“; die Verlegerin Françoise Nyssen wird Kulturministerin; Arbeitsministerin wird Muriel Penicaud.

Erziehungsminister und oberster Chef der Schulbehörde wird Jean-Michel Blanquer; Jacques Mézard übernimmt die Landwirtschaft und Ernährung. Für die Höhere Bildung, also die Universitäten und Forschungseinrichtungen zuständig ist ab sofort Frédérique Vidal, während Annick Girardin Ministerin für die französischen Überseebesitzungen ist.

Die höchst erfolgreiche Fechterin und olympische Goldmedaillengewinnerin Laura Flessel wird Sportministerin, Elisabeth Borne wird Ministerin für den ökologischen Wandel und Verkehr.

Dazu gehören dem Kabinett vier Staatssekretäre an: Christophe Castaner ist für die Beziehungen mit dem Parlament zuständig und wird Regierungssprecher, Marlène Schiappa wird Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann, Sophie Cluzel ist für behinderte Menschen zuständig und Mounir Mahjoubi für die digitale Entwicklung des Landes.

Bemerkenswert ist, dass Macron tatsächlich das getan hat, was er angekündigt hat. Im neuen Kabinett sitzen 11 Frauen und 11 Männer, alle demokratischen Strömungen UND die Zivilgesellschaft ins vertreten und eine solche Regierung hat Frankreich tatsächlich noch nie gehabt.

Mit dieser Regierungsmannschaft könnte Macron der große Wurf gelingen – denn sehr geschickt vereint er alle seine politischen Gegner in einer Art „riesiger Koalition“, in der die politischen Gegner von gestern versuchen, gemeinsam zu arbeiten. Für Macron hat das gleich mehrere Vorteile: Zum einen steigert er damit seine Chancen bei den im Juni anstehenden Parlamentswahlen, zum anderen sichert er sich für den Fall ab, dass seine Politik und Reformvorhaben scheitern sollten – niemand wird ihn kritisieren, denn alle werden mitgewirkt haben und damit gemeinsam die Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg tragen. Mit dieser Regierungsbildung beendet Emmanuel Macron faktisch die V. Republik und ruft die VI. Republik aus. Wie erfolgreich er damit sein wird, wird man sehen.

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