Eine sehr politische Goldene Palme in Cannes

Dass die Goldene Palme 2023 in Cannes an einen Film einer Regisseurin ging, wunderte niemanden. Doch die Ansprache der Gewinnerin Justine Triet überraschte alle.

Der Schlüsselmoment in "Anatomie eines Sturzes" - Samuel liegt tot im Schnee. Foto: Festival de Cannes 2023

(KL) – In diesem Jahr waren beim Filmfestival in Cannes erstmals die Werke von 7 Regisseurinnen im Wettbewerb, ein Novum in einer ansonsten stark männlich dominierten Filmbranche. Insofern war es wenig überraschend, dass mit dem Film Anatomie eines Sturzes (Anatomie d’une chute) von Justine Triet ein Film die wertvolle Auszeichnung in Cannes erhielt. Verdient hätten die Goldene Palme sicherlich mehrere Filme, wie Perfect Days von Wim Wenders oder auch Monster von Kore-Eda Hirokazu, doch mit der Entscheidung der Jury und ihrem Präsidenten, dem schwedischen Regisseur Ruben Östlund, können alle gut leben. Die ansonsten ganz normal verlaufende Zeremonie in Cannes wurde jedoch zum Politikum, als sich die Gewinnerin der Goldenen Palme, Justine Triet, die Politik der aktuellen französischen Regierung vornahm. Was sie sagte, nötigte der französischen Kultusministerin einen genervt-gequälten Kommentar ab.

Vorweg, die Ausgabe 2023 des Filmfestivals in Cannes hielt alles, was sie versprochen hatte. Erstklassige Wettbewerbsfilme, ein interessantes Programm „off“, heute schon bekannte Künstler und solche, die es morgen sein werden – ein tolles Festival, von dem unsere exzellente Korrespondentin Esther Heboyan täglich aus Cannes berichtete.

Zur Verleihung der Goldenen Palme kam sogar die greise Jane Fonda auf die Bühne, doch konnte sie mit der quirligen und engagierten Regisseurin Justine Triet nicht viel anfangen. Am Ende warf sie ihr sogar das Diplom hinterher, dass die Preisträgerin in der Aufregung auf dem Pult hatte liegen lassen. Aber hallo, Jane Fonda, die stolz berichtete, dass sie in den 60er Jahren zum ersten Mal in Cannes war. Im Saal sah man, wie im Kopf gerechnet wurde…

Nachdem Justine Triet das getan hatte, was man bei solchen Gelegenheiten tut, nämlich Schauspielern, Produzenten, Geldgebern, Partnern, Gott und der Welt zu danken, wechselte die Regisseurin das Thema und griff frontal die französische Regierung für deren undemokratisches Verhalten bei der Einführung der Rentenreform an. Und Recht hatte sie! Denn die Politik dieser Regierung wird von den Franzosen nicht nur in vielen Bereichen als undemokratisch empfunden, sondern speziell der Kulturbetrieb bekommt die Macron’sche Politik massiv zu spüren. Dass Justine Triet den Mut hatte, bei dieser Gelegenheit die Tribüne zu nutzen, um ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen anzusprechen – Hut ab!

Das sah die französische Kulturministerin Rima Abdul Malak allerdings ganz anders. Sie bewertete die Ansprache von Justine Triet als „ungerecht“ und „undankbar“ und warf der Regisseurin eine „links-extremistische Ideologie“ vor. Ansonsten war Frau Ministerin nicht wirklich amused und sagte, ihr sei „übel von dieser so ungerechten Rede“. Tja, harte Zeiten für Politiker, die geliebt werden wollen, aber eine Politik führen, die dafür sorgt, dass sie niemand mehr schätzt…

Doch genug von der Politik. Der mit der Goldenen Palme ausgezeichnete Film „Anatomie eines Sturzes“ zeichnet sich durch hervorragende Schauspieler und ein ungewöhnliches Drehbuch aus. Das ist die Geschichte: Sandra, Samuel und ihr elfjähriger Sohn Daniel leben seit einem Jahr zurückgezogen und weit weg von der Zivilisation in den Bergen. Eines Tages wird Samuel tot vor ihrem Haus gefunden. Eine Untersuchung wird gestartet und Sandra wird schnell beschuldigt, obwohl nicht einmal klar ist, ob es sich um Mord oder Selbstmord handelt. Ein Jahr später erlebt Daniel den Prozess gegen seine Mutter, bei dem die Beziehung des Paars seziert wird. Was dahinter steckt und wie es ausgeht, das müssen Sie sich schon im Kino anschauen!

Und so endet die 76. Ausgabe des Filmfestivals in Cannes. Unser Dank geht natürlich an die großartige Esther Heboyan, die einen zwei Wochen dauernden Marathon in Cannes durchgestanden hat und wir danken ebenfalls dem Festival in Cannes, das bereits zum 5. Mal Eurojournalist(e) akkreditiert hat, was für ein kleines Medium wie unseres alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Vermutlich liegt es an der Qualität der Berichterstattung von Esther Heboyan und ihren Beiträgen in den Pressekonferenzen… Und jetzt freuen wir uns schon auf die 77. Ausgabe von Cannes 2024!

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