Embedded. Ausgangssperre, Tag 12. Ist es noch weit?

Die Ausgangssperre ist lang. Und sie wird noch sehr lange andauern. Und gerade am Anfang einer dramatischen Covid-19-Welle, wollen viele, dass das alles vorbei ist. Klar.

Der Weg bis zum Ende der Corona-Krise ist noch weit. Wann wir dort ankommen, kann momentan noch niemand sagen. Foto: Norbert Nagel / Wikimedia Commons / Licence - CC-BY-SA 3.0

(KL) – Als wir Kinder waren und in den Sommerferien auf die wunderschöne niederländische Insel Walcheren fuhren, ganz früh morgens, im alten Ford 12M durch den Nebel des Rheinlandes und dann durch den der niederländischen Tiefebene, da fragten wir zum ersten Mal nach 10 Kilometern „ist es noch weit?“ Diese Frage ist, alle Eltern werden mir zustimmen, in der Regel die Ouvertüre zu grund- und sinnlosem Genörgel, Auftakt zu Streitereien zwischen den Geschwistern und bringt das Fahrzeug auch nicht schneller ans Ziel. Doch das ist gerade die Stimmungslage der weltweit rund 2,6 Milliarden von Ausgangssperren betroffenen Menschen. Sie alle formulieren gerade in allen Sprachen der Welt genau diese Frage: „Ist es noch weit?“

Die Antwort hängt, wie in der Familienkutsche, von den Machtverhältnissen ab. Da gibt es die beschwichtigenden Lügen-Eltern, die meinen, sich mit einem „nein, gar nicht mehr so weit“ ein wenig Zeit und Frieden zu erkaufen, doch das ist nur eine kurzfristige Lösung, denn bereits 10 Kilometer weiter geht nicht nur das gleiche Genörgel los, sondern dieses Mal auch noch eingeleitet von „du hattest aber gesagt…“, eine Nummer, aus der man meistens nur noch mit einem Stopp auf der Raststätte und dem Erwerb von Eis am Stiel wieder herauskommt.

Dann gibt es die Autoritären, die dem Nachwuchs auf der Rückbank mit schneidendem Ton mitteilen, dass man dann ankommt, wenn man da ist und dass jetzt alle den Schnabel halten sollen. Je nach Dezibelzahl dieser Ansage wirkt das meistens. Ist aber auch ein Zeichen dafür, dass in der Familie vieles richtig schief läuft.

Ebenfalls verbreitet ist die Waldorf-Variante, bei der das beifahrende Elternteil sofort ein Spiel mit den Quengelgeistern zu spielen beginnt. „Kuckt mal, wir winken jetzt allen roten Autos zu!“. Manchmal gehen die Kinder dieser Strategie auf den Leim und dann muss man hoffen, das nicht allzu viele rote Autos unterwegs sind, denn nach spätestens 5 roten Autos und 5 Mal Winken, kommt unweigerlich die Frage „ist es noch weit?“

Die Distanz, die uns heute vom Ende der Corona-Krise trennt, ist ungefähr so weit wie von Bonn Bad-Godesberg nach Vlissingen auf Walcheren. Und das sind 310 Kilometer. Quengeln die lieben Kleinen also alle 10 Kilometer „ist es noch weit?“, dann sind das 31 Quengelrunden. Und ebenso wenig, wie ein genervter, autofahrender Familienvater einfach auf der Strecke anhalten und sagen kann „so, Kinder, wir sind angekommen, hier ist Vlissingen!“, genauso wenig können unsere Regierungen jetzt sagen, „es reicht, wir erklären die Conona-Krise für beendet, ab jetzt ist alles wieder in Ordnung!“. Im ersten Fall wird die Distanz erst durch das Ortsschild „Vlissingen“ beendet, im zweiten Fall von den Experten der WHO, wenn diese eines Tages erklären, dass die Corona-Krise überstanden ist. Anders geht es eben nicht.

Insofern ist das aktuelle Gequengel nicht nur wenig zielführend und die Quengler sollten wissen, dass es niemandem Freude macht, eingesperrt zu sein und nicht in der milden Frühlingssonne spazieren zu gehen. Doch sollten diejenigen, die Verantwortung haben, den Quenglern auch nicht unbedingt ein Eis kaufen – mit Maßnahmen wie der Wiedereröffnung gerade erst geschlossener Märkte. Es kann doch nicht sein, dass wir aus Sicherheitsgründen  seit bald zwei Wochen alle Kontakte auf 1,5 Meter vermeiden, um uns dann auf Märkten zu drängeln! Wie ernst zu nehmen die Beteuerungen sind, dass alle ganz bestimmt Abstand halten, das sieht man momentan bei dem schönen Wetter – sehr viele Leute kümmern sich nicht um Vorgaben und Regeln, sondern genießen den Frühling im Freien, ohne sich Gedanken zu machen. Seit Tschernobyl wissen wir, dass viele Menschen Gefahren erst dann ernstnehmen, wenn man sie sieht und/oder anfassen kann. Und das geht beim SARS-CoV-2 genau so wenig wie mit Radioaktivität. Dabei sind beide tödlich.

Das immer lauter werdende „ist es noch weit?“ bringt uns leider nicht weiter und die einzige Antwort darauf lautet „das wissen wir nicht, das werden uns die Wissenschaftler sagen müssen, wann wir angekommen sind“. Alles andere ist gefährlich und könnte die Distanz bis zum Ende der Krise noch länger werden lassen.

Auch mir macht es keinen Spaß, in diesem Chaos in einem der heftigsten Cluster Europas „embedded“ zu sein. Seit 5 Tagen habe ich meine leichten Symptome, leicht, aber alle. Seit heute werde ich bei etwas längeren Telefonaten etwas kurzatmig und merke das, weil ich an den „falschen“ Stellen Luft holen muss. Ich wüsste auch gerne, ob es noch weit ist, aber da ich weiß, dass momentan niemand eine echte Antwort geben kann, verkneife ich mir die Frage. Tag 12. Ja, es ist noch ziemlich weit…

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