Gedächtnisarbeit können wir uns künftig auch schenken

Die westliche Politik will den Ukraine-Krieg gewinnen, ohne dabei selbst allzu große Risiken einzugehen. Verständlich? Auf jeden Fall hat das mit „Nie wieder Krieg!“ nichts mehr zu tun.

Das ist das Ergebnis von Krieg. Das ist nicht heldenhaft, erstrebenswert oder sonstwie positiv - im Krieg wird dreckig gestorben. Für die Interessen Dritter. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Wir alle kennen die Termine – 8. Mai, 11. November, dazu Landung der Alliierten in der Normandie, Befreiung von Auschwitz. Zu diesen Terminen war es üblich, dass sich die Mächtigen der Welt bei schön choreographierten Veranstaltungen trafen, um sich mit etwas bedröppelter Miene gegenseitig zu versichern, dass es „nie wieder Krieg“ geben dürfe. Diese hehre Absicht ist in Vergessenheit geraten, heute rühren fast alle die Kriegstrommel. Aber dann wäre es eigentlich konsequent, würde man diese Veranstaltungen der Gedächtnisarbeit künftig ausfallen lassen. Denn die Realitäten zeigen, dass sie nichts anderes als hochkarätige Heuchelei waren.

Natürlich waren diese Veranstaltungen beeindruckend. In militärischer Ordnung harrten würdige, mit Orden geschmückte Greise bei diesen Veranstaltungen stundenlang aus und hielten mit letzter Kraft die Fahnen ihrer früheren Einheiten hoch, Veteranen gingen in die Schulen, um dort den Kindern von den Schrecken des Kriegs zu erzählen, mit der Absicht, das „nie wieder Krieg“ der Politiker mit Sinn zu füllen. Krieg ist Irrsinn, Krieg kostet immer die „kleinen Leute“ das Leben, Krieg dient immer unlauteren Absichten. Das war die Nachricht der Gedächtnisarbeit. Krieg ist etwas, das mit allen Mitteln zu verhinden ist, da Kriege keine Probleme lösen und nichts außer unglaublichem Leid und Elend auslösen.

Doch heute will man im Westen wie im Osten nicht etwa pazifistische Parolen hören, sondern selbst im Krieg mitmischen, so aktiv, wie das irgend möglich ist. Wie Sensationstouristen reisen die westlichen Politiker in die Ukraine (zumindest diejenigen, die von der Ukraine nicht zu „unerwünschten Personen“ erklärt werden, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier…), marschieren durch zerbombte Städte, werfen einen Blick in Massengräber und – wollen selber mitmischen.

Die wenigen Stimmen der Vernunft, die fordern, dass man vor einem Engagement zumindest klären sollte, welche strategischen Ziele man mit einer Kriegsteilnahme eigentlich verfolgt, werden zu Vaterlandsverrätern deklariert. Ein wenig wie 1914 und 1933. Auch 2022 greift die Kriegsgeilheit um sich.

Das Argument ist immer das gleiche: Die Ukraine verteidigt europäische Werte. Aha. Das tut die Ukraine also. Und welche „europäischen Werte“ verteidigt die Ukraine? Die Ukraine verteidigt sich selbst gegen einen fürchterlichen Angreifer, und es ist natürlich das gute Recht der ukrainischen Regierung, ihre Bevölkerung auf die Schlachtbank zu schicken. Gleichzeitig läuft aber der Dreiecks-Deal EU-Russland-Ukraine weiter. In der EU kauft man weiterhin russische Energieträger, die zum Teil durch die Ukraine geleitet werden, die ihrerseits Durchleitungsgebühren kassiert. Dass nun alle gegenseitig diesen Krieg finanzieren, gehört das zu den europäischen Werten?

Doch in der Ukraine findet nicht etwa der Kampf „Ost gegen West“ oder „Böse gegen Gut“ statt, sondern ein brutaler Kampf zwischen zwei Ultranationalisten, die beide bereit sind, ihre Bevölkerung zu opfern, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Das ist ihr gutes Recht, doch sollte man im Westen gut überlegen, wo man sich dort hineinziehen lässt.

Heute wundert man sich im Westen über die Brutalität, die Kriegsverbrechen, die Grausamkeiten dieses Krieges. All diejenigen, die gebetsmühlenartig mehrfach im Jahr „nie wieder Krieg“ gemurmelt haben, ohne offenbar über die Bedeutung dieser Worte nachzudenken, sollten mal einen Blick in die Geschichtsbücher werfen. Vielleicht finden sie dort einen „korrekten“ Krieg, einen „sauberen“ Krieg, einen Krieg, bei dem die Kriegsparteien nett miteinander umgehen. Doch einen solchen Krieg wird man nicht finden – Krieg ist immer dreckig, Krieg ist immer grausam, Krieg ist immer ungerecht und Krieg ist immer ein Gemetzel, bei dem die „kleinen Leute“ ihr Leben für die undurchschaubaren Interessen der „Großen“ lassen.

Die epochale „Begeisterung“ in einigen Regierungen für diesen Krieg ist nur schwer erträglich und zeigt, dass auch zwei Weltkriege (und zahllose weitere, regionale Kriege) nicht ausgereicht haben, dass der Mensch irgendetwas lernt. Die Mechanismen, das Adrenalin, die Propaganda, all das ist immer gleich, auch heute. Doch dann wäre es eigentlich konsequent, würde man diese Gedächtnisveranstaltungen künftig bleiben lassen. Denn die Wiederholung der Geschichte ist eine Verhöhnung der Millionen Opfer der beiden Weltkriege und das Versprechen „nie wieder Krieg“ ist reine Heuchelei. Und dann könnte man eigentlich auch darauf verzichten und das so eingesparte Geld direkt in Waffen investieren. Denn Waffen und Krieg scheinen den Mächtigen dieser Welt deutlich mehr am Herzen zu liegen als „Frieden“, „Diplomatie“ und andere „Weichei-Konzepte“. Es ist unglaublich, dass es schon wieder so weit kommen kann.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste