Nur noch ein halbes Billiönchen…

… fordert der ukrainische Vize-Außenminister Andrej Melnyk. Dann, so Melnyk, gewinnt die Ukraine den Krieg gegen Russland noch dieses Jahr. Ganz bestimmt.

So wie hier in Bachmut wird es in der Ostukraine jahrelang weitergehen. Foto: Dsns.gov.ua / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Es ist wie in jedem großen Krieg. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen und je weiter weg sich die Menschen von einem solchen Krieg befinden, desto geringer wird das Interesse an diesen militärischen- und Propaganda-Schlachten. Erstaunlich ist, dass nach mehr als einem Jahr Krieg der Westen nach wie vor keine Strategie für diesen Krieg hat und im Grunde nur reflexhaft Geld und Waffen in das Kriegsgebiet pumpt. Doch dieser Krieg ist inzwischen zum „Geschäftsmodell“ aller beteiligten Länder geworden, die diesen blutigen Krieg auf dem Rücken des leidenden ukrainischen Volks und den Bevölkerungen anderer Länder weiterführen. Und das kann noch lange Jahre so gehen, genau wie 1914-18 und 1939-1945.

55 Milliarden Dollar hat der Westen seit einem Jahr in die Ukraine gepumpt, in Form von Waffen und Geld. Doch nun möchte der virulente frühere ukrainische Botschafter in Berlin, Andrej Melnyk, diese Summe verzehnfachen, weil die Ukraine dann den Krieg „noch in diesem Jahr“ gewinnen wird. So, wie Melnyk bereits den Sieg der Ukraine „ganz bestimmt“ im letzten Jahr vorhergesagt hatte. Und so, wie er den Sieg der Ukraine auch im nächsten Jahr vorhersagen wird. Im nächsten Jahr, führt man die Mathematik weiter, wären dann wohl 5,5 Billionen Dollar fällig.

Natürlich basieren alle westlichen Annahmen auf der Überzeugung, dass die Partner Russlands stillhalten werden, was sie bereits heute nicht tun. Immer wieder wird von iranischen und chinesischen Waffensystemen in den Händen der russischen Armee berichtet, der russische Ölexport läuft munter weiter über Indien (einen weiteren BRICS-Partner Russlands) und die Türkei, und es ist ein großer Fehler zu glauben, dass Russlands Partner Moskau in dieser Situation fallenlassen – diese Annahme ist reines, westliches Wunschdenken.

Wie zäh dieser Stellungskrieg im Osten der Ukraine ist, sieht man in Bachmut. Seit Monaten wird in diesem Städtchen, das einst 70.000 Einwohner zählte, erbittert um jeden Straßenzug gekämpft, in einem Stellungskrieg ähnlich wie im I. Weltkrieg bei Verdun, und das kann ewig so weitergehen. Und das ist „nur“ Bachmut. In anderen Ortschaften, von denen vor diesem Krieg auch noch niemand gehört hatte, ist es nicht anders.

Doch wonach soll man nun sein Handeln ausrichten? Nach westlichem Wunschdenken oder nach den Realitäten an der Front? Und warum findet keine Debatte darüber statt? Soll man wirklich blind den mehr als fragwürdigen Aussagen eines Andrej Melnyk folgen, dessen Ankündigungen sich praktisch noch nie bewahrheitet haben? Soll man dem brasilianischen Präsidenten Luna folgen, der eine Position bezieht, über die man zumindest nachdenken sollte? Luna verurteilt die Invasion seiner russischen Partner in der Ukraine, drängt aber trotzdem auf Verhandlungen, die ergebnisoffen geführt werden sollen und unter anderem die Frage aufwerfen, ob die Krim jemals wieder ukrainisch werden kann. Militärisch scheint es ausgeschlossen, dass die Ukraine oder der Westen die Krim jemals wiedersehen.

Zum 18. Mai kündigt Russland nun das Getreide-Abkommen und wird keine weiteren Getreidetransporte mehr zulassen. Da diese ausschließlich über das Schwarze Meer in Richtung Afrika erfolgen können, wird Russland keine Probleme haben, diese Transporte zu verhindern. Der Westen reagiert verständlicherweise empört, dass Russland Hunger als Kriegswaffe einsetzt. Nur – was nützt diese Empörung in einem Krieg, in dem nach und nach alles zum Einsatz kommt, was die Kriegsparteien aufbieten können? Im Grunde zeigen die Stellungnahmen der westlichen Politik nur eines – die absolute Ideen- und Hilflosigkeit des Westens angesichts dieses brutalen russischen Angriffskriegs.

Die Optionen zur Beilegung dieses Kriegs werden immer weniger, wofür allerdings auch alle Beteiligten sorgen. Die Weigerung beider Kriegsparteien zu Verhandlungen und die tägliche Propaganda, bei der man weiß, dass keine der beiden Seiten die Wahrheit berichtet, führen dazu, was Annalena Baerbock so sehr fürchtet – Kriegsmüdigkeit. Dabei ist „Kriegsmüdigkeit“ die normalste Reaktion auf Krieg, es sei denn, man verdient sich an einem solchen Krieg aus sicherer Entfernung eine goldene Nase.

Dass die Solidarität mit dem ukrainischen Volk ungebrochen ist, das stellt niemand in Frage. Diese Solidariät ist auch so lange weiter erforderlich, wie diejenigen, die in der Lage wären, die Entwicklung in eine andere Richtung zu bewegen, dies nicht tun.

Ob es Sinn macht die westliche Wirtschaft als „Kriegswirtschaft“ zu organisieren, ist zweifelhaft, ob es Sinn macht, pharaonische Beträge in die Ukraine zu pumpen, in der Hoffnung, die russischen Partner würden nicht das gleiche machen, ist mehr als fraglich. Denn in der Ukraine tobt inzwischen ein Krieg der Systeme, bei dem sich einerseits die vom Westen immer noch ignorierten BRICS-Staaten und andererseits ein ebenso korrupter Westen gegenüber stehen und keine der beiden Seiten wird sich militärisch zurückziehen.

Der Westen wird weiter Milliarden und bald Billionen in die Ukraine pumpen, China und der Iran und andere Staaten werden das in Russland genauso handhaben, denn eine russische Niederlage in der Ukraine wäre für die BRICS-Staaten ein herber Gesichtsverlust, den die Chinesen zu verhindern wissen werden. Doch das gleiche gilt jetzt auch für den Westen, der sich in eine Situation hat manövrieren lassen, in der es eigentlich keinerlei andere Option mehr gibt, als weiter ständig unvorstellbare Summen und Waffensysteme vertrauensvoll in die Händer der Ukraine zu legen, in der gewagten Vorstellung, dass dieses Geld und diese Waffen nicht zumindest teilweise in dunklen Kanälen versickern. Beenden wird dies diesen Krieg allerdings nicht.

Es ist erschreckend, dass inzwischen alles als „alternativlos“ bezeichnet wird, ebenso wie 1914-18 und 1939-45. Kriege sind nur dann „alternativlos“, wenn die Kriegstreiber die Propaganda beherrschen (was auf beiden Seiten der Fall ist) und die Menschen zu müde sind, sich gegen den Krieg aufzulehnen. Seltsam, niemand will angeblich diesen Krieg, doch alle mischen weiter jede Woche dabei mit, die Eskalation weiterzutreiben. Solange, bis es keinen Weg mehr zurück gibt.

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