Serie (1) – Europäische Gelder für die Mafia?

Heute: ENI – SNAM – Bonatti und die anderen – Wer sind sie und welche Rolle spielen sie im Skandal um den Bau von Gas-Pipelines in Italien?

Einer der ENI-Standorte in Taranto, Süditalien. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(Kai Littmann) – In diesem Artikel stellen wir die wichtigsten Akteure in diesem Skandal vor, der bereits seit fast drei Jahrzehnten andauert. Die genannten Unternehmen bilden, mit Hilfe der itaienischen Justiz und Politik, das, was Autoren und Journalisten „il sistema“ nennen. Im Rahmen dieser logischerweise informellen Struktur werden große Energie-Infrastrukturprojekte abgewickelt. Diese Infrastrukturen sind für die Energieversorgung zahlreicher europäischer Länder sehr wichtig. Dies rechtfertigt die Investition von Milliarden Euro Gelder der europäischen Steuerzahler, aber es ist bedauerlich, dass ein Teil dieser Investitionen in den Kassen des organisierten Verbrechens in Italien gelandet ist. Das Ziel dieser Serie ist es zu verstehen, was getan werden muss, damit dies nicht erneut geschieht, beispielsweise beim nächsten Bauabschnitt, der für 2024 geplant ist.

Wer ist ENI? – Das Unternehmen ENI wurde 1953 gegründet und 1984 privatisiert. Der italienische Staat hält rund 32 % des Kapitals, was ihm die operationelle Kontrolle dieses Mega-Unternehmens sichert. Mit mehr als 32.000 Mitarbeitern und Niederlassungen in 62 Ländern ist ENI die zweitgrößte Energie-Gruppe Europas (nach TOTAL) und die siebtgrößte weltweit. ENI hält Beteiligungen an weiteren Gas-Unternehmen in verschiedenen europäischen Ländern (und auch ausserhalb Europas) und ist damit ein unumgänglicher Akteur im Energiemarkt. Als Partner der Europäischen Union organisiert ENI zahlreiche Projekte in Italien und anderswo. Im Bereich der Gas-Pipelines, für den wir uns in dieser Serie interessieren, steht ENI an der Spitze einer riesigen Arbeitsstruktur und trägt die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Ablauf und die Verwaltung der bereitgestellten europäischen Gelder. Unter Leitung ihres Präsidenten Giuseppe Zafarana und von Generaldirektor Claudio Descalzi hat ENI im Jahr 2022 einen Umsatz von 132,512 Milliarden Euro erzielt, was das Unternehmen auf Platz 111 der weltweit 500 größten Unternehmen bringt.

Wer ist SNAM? – Die SNAM, gegründet 1941, ist das größte Transportunternehmen für Erdgas in Italien und folglich auch einer der wichtigsten Akteure in diesem Dossier. Über ihre Filialen und Partner ist die SNAM im Bau von Gas-Pipelines, dem Transport und der Lagerung von Erdgas in Italien engagiert. Die „Cassa Depositi e Prestiti“ (staatliche Bank) hält 31,35 % der Anteile (mit zahlreichen internationalen Investment-Fonds im Kapital). Die SNAM wurde von ENI mit der Durchführung zahlreicher Projekte zum Bau von Gas-Pipelines in Italien beauftragt. Im Rahmen verschiedener Finanz-Operationen hat die SNAM Gas-Pipelines und Betriebsrechte erworben. Diese Operationen werden wir in dieser Serie nicht detailliert darstellen (obwohl sie bestens dokumentiert sind). Die SNAM beauftragte und beauftragt ihrerseits Generalunternehmen dieser Infrastrukturprojekte, die von ihren eigenen Filialen überwacht wurden und werden. Im Jahr 2014 wurde eine der Filialen, Italgas, unter kommissarische Verwaltung gestellt, da die Mafia dieses Unternehmen infiltriert hatte. Mit einem Umsatz von 3,52 Milliarden Euro (2022) gehört die SNAM zu den wichtigen Strukturen auf dem italienischen Gas-Markt.

Wer ist Bonatti? – Bonatti war eines der Generalunternehmen, das mit den Arbeiten zum Bau der Gas-Pipelines in Italien beauftragt wurde. Zum Zeitpunkt der Vorgänge, die uns in dieser Serie interessieren, Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre, gehörten rund 70 % der Aktien von Bonatti Callisto Tanzi, dem Gründer und Präsidenten der Gruppe „Parmalat“, einem riesigen Unternehmen im Bereich Agrar und Ernährung, das im Zentrum des „Parmalat-Skandals“ stand. 14 Milliarden Euro „verschwanden“ von den Konten des Unternehmens, das früher Sponsor von Real Madrid und Besitzer von Parma Calcio und rund 100 kleineren Unternehmen war. Verurteilt zu 18 Jahren Gefängnis, ein Urteil das vom Kassationsgericht bestätigt wurde, unter anderem wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“, starb Callisto Tanzi im Jahr 2022. Die Verbindungen zwischen Bonatti und dem organisierten Verbrechen wurden in zahlreichen Büchern und Veröffentlichungen in der Presse dokumentiert. Die Rolle von Bonatti ist deshalb so wichtig, weil das Unternehmen seine Subunternehmer, welche die eigentlichen Arbeiten ausführten, nur teilweise bezahlte, was zum Verlust vieler Arbeitsplätze und der Pleite zahlreicher Bauunternehmen führte. An dieser Stelle hätte das „Anti-Mafia-Gesetz – Legge 55/1990“ greifen müssen, das vorschreibt, dass in einer solchen Situation die übergeordneten Auftraggeber, in diesem Fall also SNAM und ENI, für Bonatti hätten einspringen und die betrogenen Subunternehmer auszahlen müssen, was aber nie passierte. Die vielen Gerichtsverfahren wurden von der italienischen Justiz und Politik so verwässert, dass die betrogenen Subunternehmer keine Urteile vom obersten Gericht, dem Kassationsgericht erhielten, so dass ihnen der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte versperrt blieb. Wie dies bewerkstelligt wurde, lesen Sie in dem Artikel dieser Serie, der den Rollen der Justiz und dem Obersten Justizrat gewidmet ist. Nach den Skandalen rund um das Unternehmen Bonatti wurde dieses schließlich aus „il sistema“ entfernt, was allerdings dieses System nicht davon abhielt, weiter zu funktionieren.

Diese Informationen sind relativ oberflächlich, denn all diese Unternehmen sind seit Jahrzehnten Gegenstand von Finanz-Operationen, Käufen und Verkäufen, in einer Komplexität, die eine verständliche Darstellung praktisch unmöglich machen. Für diese Serie ist es allerdings wichtig, die Kette „Europäische Gelder – ENI – SNAM – Bonatti (und / oder weitere Generalunternehmen)“ zu verstehen, denn in dieser Kette hätte das „Anti-Mafia-Gesetz“ die im Rahmen dieser Projekte vernichteten Bauunternehmen schützen müssen. Stattdessen kam es in der Folge zu schwersten Ausfällen des italienischen Justizsystems, Korruption von Richtern und politisch Verantwortlichen auf höchsten Ebenen. Während unserer Untersuchung stießen wir überall auf das organisierte Verbrechen, das von den Geldern der Gaspipeline-Projekte profitierte. Glücklicherweise haben Experten, Journalisten und einige mutige Richter und Staatsanwälte die Verbindungen zwischen diesem Unternehmen und mafiösen Organisationen aufgezeigt und dokumentiert, wodurch wir diesen Nachweis nicht mehr antreten müssen.

Wir haben die Europäische Kommission gefragt, warum die vvielen Gerichtsverfahren, die von den geschädigten Bauunternehmen angestrengt wurden, keine Auswirkungen auf den Zuschlag neuer Projekte an ENI hatten, die seit den 90er Jahren Aufträge in Milliardenhöhe für alle Erweiterungen des Gasnetzes in Italien erhält. Die Antworten der Europäischen Kommission lesen Sie in einem der Artikel dieser Serie.

Für diejenigen, die den Anfang dieser Serie verpasst haben, einschließlich von Medien in anderen Ländern, die ihr Interesse an diesem Dossier angemeldet haben, setzen wir an das Ende jeden Artikels die Links zu den bereits erschienenen Artikeln.

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