Warum man manchmal auf die Alten hören sollte…

Alles schreit nach Krieg – doch wissen wir eigentlich, was Krieg wirklich bedeutet? Und warum die Veteranenverbände jedes Jahr unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ zusammenkommen?

Jahr für Jahr ermahnen uns die würdigen Veteranen, dass es "Nie wieder Krieg" geben darf. Doch niemand scheint sie mehr zu hören. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Manuel Valls, der französische Premierminister, ist auf dem Kriegspfad. In einem Pressegespräch mit mehreren internationalen Medien erklärte er, dass wir uns im Krieg befänden, genauer gesagt, seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. Doch sollten wir uns nicht täuschen lassen – das, was die Amerikaner seitdem weltweit abziehen, der „Kampf gegen den Terrorismus“, ist das wohl erfolgloseste militärische Unterfangen, das man sich vorstellen kann. Wenn Hundertausende Tote, Milliarden für Rüstung und Geheimdienste und eine Neuausrichtung der westlichen Gesellschaften in 14 Jahren so erfolgreich den Terrorismus bekämpft haben, wie wir das gerade erfahren, dann muss man jetzt wirklich darüber nachdenken, ob das der richtige Weg ist.

Wir befinden uns seit letztem Jahr in einer Phase, in der wir des vor 100 Jahren ausgebrochenen I. Weltkriegs gedenken, dazu haben wir in diesem Jahr daran gedacht, dass der II. Weltkrieg vor 70 Jahren zuende ging. Jahrzehnte lang haben wir uns in Europa gegenseitig auf die Schulter geklopft, dass die Schaffung des geeinten Europas die längste Friedensphase ermöglicht hat, die dieser Kontinent in seiner bewegten Geschichte erlebt hat. Und diese Errungenschaft werfen wir gerade mit dem gleichen „Hurra!“ über Bord, mit dem unsere Urgroßväter in den I. Weltkrieg gezogen sind und dem sich unsere Großväter und Väter in den II. Weltkrieg gestürzt haben.

„Nie wieder Krieg“ – das war auch in diesem Jahr die Kernaussage aller Gedenkfeierlichkeiten, vorgetragen von würdigen alten Männern, die den letzten Krieg und seine Schrecken noch persönlich erlebt haben. Auf diese alten Männer sollte man hören, denn sie wissen, was Krieg wirklich ist. Manuel Valls, der französische Premierminister, der am Dienstag kritisierte, dass sich Deutschland nicht an den militärischen Operationen in Syrien beteiligt, ist zu jung, um zu wissen, was Krieg wirklich ist. Er sitzt gerade dem Irrtum auf, dass Krieg das ist, was die Amerikaner seit langen Jahren praktizieren – das Einfallen in weit vom eigenen Land entfernten Ländern, das Führen von Stellvertreterkriegen, die alle eines gemeinsam haben: Sie betreffen nicht das eigene Territorium und damit auch nicht die eigene Zivilbevölkerung. Seit den Anschlägen von Paris meinen viele Europäer, dass man diese Art des „Auswärtskriegs“ auch von unserer Seite führen könne, doch das ist ein Irrglaube. Was uns seit zwei Wochen mitten in Europa deutlich vor Augen geführt wird.

Krieg, das ist Morden, Tod, Elend, Vertreibung – und nicht etwa die Zusammenfassung der kriegerischen Ereignisse am Abend in der Tagesschau. Krieg, wenn er dann geführt wird, ist etwas, das alle und jeden betrifft, das Lücken in jede Familie reißt, das am Ende keinen Gewinner hat. Das wissen alle, die jemals ein Geschichtsbuch aufgeschlagen haben und es ist erstaunlich, dass sich heute in Europa, 70 Jahre nach dem II. Weltkrieg und 100 Jahre nach dem I. Weltkrieg, scheinbar niemand mehr daran erinnert.

„Krieg“ ist auch nicht mehr das, was man in der Antike, im Mittelalter und in der jüngeren Neuzeit darunter verstand, nämlich das Aufstellen von Armeen, die dann aufeinander losgingen, im Vorbeigehen noch die Zivilbevölkerung niedermetzelten, vergewaltigten, ausplünderten, sondern „Krieg“ ist heute das Bekämpfen eines „Feindes“ mit allen zur Verfügung stehenden technologischen und anderen Mitteln. Darüber müssen sich alle im Klaren sein, die heute lauthals nach „Krieg“ schreien. Der Westen (und Russland) verfügen über gut ausgerüstete Armeen, die mit moderner  Ausrüstung, mit Raketen und Drohnen, Flugzeugträgern, Bombern und anderen Mitteln vorgehen. Der Islamische Staat verfügt nicht über eine solche Ausrüstung und führt seinen Krieg mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Das sind Terrorismus und andere eher archaische Waffen, die uns aber ebenso treffen können und werden wie unsere Bomben Syrien und den Irak. Noch haben wir keine größeren Angriffe mit Bio- und Chemiewaffen bei uns erlebt, doch in der aktuellen Eskalation der Auseinandersetzung ist es nur eine Frage der Zeit, wann so etwas passieren wird – und zwar mitten in Europa und/oder den USA.

Die einzige Organisation, die noch etwas in die richtige Richtung bewegen könnte, wäre die UNO, doch die ist inzwischen ein zahnloser Tiger geworden. Wie wirkungslos die zahllosen UNO-Resolutionen sind, erleben wir jeden Tag aufs Neue. Vielleicht sollten wir die Regierungsgewalt vorübergehend den Kriegsveteranen in die Hände legen, also denjenigen, die wissen, was Krieg wirklich ist, die wissen, dass es keineswegs süß und heldenhaft ist, fürs Vaterland zu sterben, sondern dass der Tod im Krieg eine dreckige, leidvolle Angelegenheit ist. Hört auf die Alten und den Satz, den sie uns jedes Jahr aufs Neue ins Poesiealbum schreiben: „Nie wieder Krieg“!

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