Besser spät als nie?

Darauf musste man ein Jahrzehnt lang warten. Kurz vor der endgültigen Entscheidung des High Court in London über die Auslieferung Julian Assanges in die USA, hat sich Olaf Scholz geäußert.

Mit Joe Biden über Julian Assange zu sprechen, ist eben doch schwieriger als mit Schülern in Sindelfingen... Foto: The White House / Wikimedia Commons / PD

(KL) – „Ich bin der Meinung, dass es schon gut wäre, wenn die britischen Gerichte ihm (Julian Assange) den notwendigen Schutz gewähren“, sprach Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Veranstaltung vor Schülern in Sindelfingen. Schade, dass er dies noch nie im Bundestag gesagt hat, schade, dass er das nie bei einem der vielen Gxx-Gipfel zu seinen britischen Amtskollegen gesagt hat. Schade, dass er das noch nie in Washington gesagt hat. Schade, dass diese Kommunikation zu einem Zeitpunkt erfolgt, wo die Auslieferung Julian Assanges, den in den USA 175 Jahre Gefängnis dafür erwarten, dass er die Welt über amerikanische Kriegsverbrechen informiert hat, fast schon entschieden worden wäre, hätte der High Court in London seine Entscheidung nicht Ende Februar um einige Tage vertagt.

Doch nachdem sich Scholz gegenüber den Schülern in Sindelfingen getraut hatte, einmal ein klares Wort zum Thema Assange zu sagen, ruderte er auch gleich schon wieder zurück. Denn immerhin habe Assange ja amerikanische Staatsgeheimnisse verraten und „das ist natürlich etwas, was den USA nicht gefällt“. Schade, dass Scholz so viel Verständnis für Kriegsverbrecher in Washington hat. Denn Kriegsverbrecher aus allen Ländern sehen es nicht gerne, wenn man ihre Verbrechen öffentlich macht. Mit seinem Nachsatz hat sich Scholz genau dorthin gestellt, wo die deutsche und die europäische Politik seit 13 Jahren steht – im Niemandsland zwischen Kriegsverbrechen und Pressefreiheit, und weil es so kompliziert ist, sich für die Pressefreiheit zu positionieren, bleibt man eben bewegungslos stehen und tut nichts.

Scholz späte Erkenntnis ist ebenso lauwarm wie die Haltung seiner Außenministerin Annalena Baerbock. Diese hatte während des Wahlkampfs 2021 noch die Freilassung Assanges gefordert, doch seit sie in ihr hohes Amt gespült wurde, wird sie nicht müde, ihr „Vertrauen“ ins britische und ins amerikanische Justizsystem zu betonen. Dabei weiß jeder, der diesen Prozess verfolgt hat, dass dieser eine Farce eines rechtsstaatlichen Verfahrens war, dessen Verlauf von der CIA und der NSA diktiert wurde und dass Assange in den USA eine Strafe erwartet, die nicht nur dem Konzept der Pressefreiheit, sondern auch dem der Demokratie und des Rechtsstaats widerspricht.

Olaf Scholz stünde auf der richtigen Seite, hätte er seine Stellungnahme nicht vor Schülern in Sindelfingen gemacht, sondern gegenüber seinen Amtskollegen in London und Washington und wenn er in beiden Ländern Sanktionen für den Fall angekündigt hätte, dass die Briten Assange tatsächlich in die Höhle des Löwen ausliefern. Aber es ist natürlich wesentlich einfacher, den „netten Onkel“ vor Schülern zu spielen, als grundlegende Werte der Demokratie gegenüber Regierungschefs zu verteidigen, die sich im Fall Assange nicht viel anders verhalten als Putin im Fall Nawalny.

Die endgültige Entscheidung, ob Assange und seine Anwälte einen letzten Einspruch, gegebenenfalls vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegen können, fällt in diesen Tagen. Wäre Olaf Scholz ein aufrechter Demokrat, würde er jetzt mit Rishi Sunak und Joe Biden sprechen und von beiden verlangen, diesem Skandal ein Ende zu setzen und Assange nach Australien zu seiner Familie ausreisen zu lassen. Aber dafür reicht der Mut nicht. Denn dort müsste er anders auftreten als vor Schülern in Sindelfingen.

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