Das Europäische Parlament stimmt gegen Sepp Blatter

Wie war das, „man soll Sport und Politik nicht miteinander vermischen“? Egal - jetzt hat das Europäische Parlament in Straßburg gegen Sepp Blatter gestimmt. Der ausnahmsweise mal für gar nichts kandidiert hatte.

Ob hier in der FIFA-Zentrale in der Schweiz demnächst darüber abgestimmt wird, ob das EU-Parlament das TTIP ratifizieren soll? Foto: Bic / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0

(KL) – Selten war sich das Europäische Parlament in Straßburg so einig – alle sieben Fraktionen im Parlament, von linksaußen über das Mittelfeld bis rechtsaußen, hatte am Donnerstag eine gemeinsame Resolution zur Abstimmung gebracht. Mit dieser Resolution wird der zurückgetretene, aber kommissarisch immer noch amtierende FIFA-Präsident Sepp Blatter aufgefordert, sofort sein Amt niederzulegen und den Platz für einen Interimspräsidenten frei zu machen. Und außerdem solle die FIFA von Grund auf reformiert werden. Und sollte sich herausstellen, dass es bei der Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 an Russland und Katar nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, dann sollten diese WMs noch mal überdacht werden. Und nein, die Abstimmung fand nicht etwa in der FIFA-Vollversammlung statt, sondern im Europäischen Parlament. Seltsam. Ob wohl bald die FIFA die Herren Schulz und Juncker zum Rücktritt auffordert?

Hm. Natürlich haben die Abgeordneten, die der Resolution per Handzeichen quasi einstimmig zustimmten, inhaltlich Recht. Aber ist das Europäische Parlament tatsächlich dazu da, die Fehlentwicklungen in einem Sportverband auf die politische Agenda zu setzen? Jahrzehntelang, nämlich immer, wenn die Menschen erwarteten, dass sich die Politik einmal äußert, beispielsweise bei großen Sportveranstaltungen in diktatorisch regierten Ländern, oder solchen, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wurde uns gebetsmühlenartig wiederholt, man könne leider nichts sagen, denn man dürfe auf keinen Fall Sport und Politik miteinander vermischen. Das haben wir so oft gehört, bis wir es irgendwann sogar mal fast geglaubt hätten.

Doch der FIFA-Skandal ist einfach zu schön und konsensfähig, als dass die EU-Parlamentarier, die ansonsten leider nicht viel auf die Reihe bekommen, weder eine vernünftige Flüchtlingspolitik, noch eine Lösung für Griechenland oder eine klare Ablehnung des unsäglichen TTIP, die Gelegenheit verstreichen lassen könnten, sich ein wenig darin zu sonnen, dass sie eine Organisation gefunden haben, die so eindeutig zu den Schurken gehört, dass man mit einer so heftigen politischen Intervention gar kein Fettnäpfchen treffen kann. Aber mal ehrlich – das Europäische Parlament sollte sich lieber um den ungarischen Ministerpräsidenten Orbán kümmern, der die Todesstrafe wieder einführen will, oder sich einmal damit auseinandersetzen, dass außer ihnen selbst niemand dieses TTIP will oder sich mit der Rettung Griechenlands vor den Haien der Finanzmärkte retten. Die Resolution zur FIFA gehört zu den Dingen, die man getrost der amerikanischen Justiz überlassen könnte, statt publikumswirksame und ansonsten völlig bedeutungslose Erklärungen abzugeben, die am Rande zur billigen Effekthascherei liegen.

Wie ernst muss man eine solche Resolution nehmen? So ernst, wie wenn der Deutsche Sportbund das Europaparlament auffordern würde, sofort die geheimen Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen mit den USA einzustellen, mit der gleichzeitigen Forderung nach dem Rücktritt von Martin Schulz, weil eindeutig erwiesen ist, dass Schulz und Kollegen einen feuchten Kehricht darauf geben, ob die Europäer Lust haben, ihre politische, soziale und wirtschaftliche Zukunft künftig in Washington entscheiden zu lassen? Vermutlich würde sich das Parlament eine solche Einmischung empört verbitten.

Aber sei’s drum – zum Thema FIFA kann man ja momentan gar nichts Falsches sagen und es muss für die permanent in der Kritik stehenden und von den Brüssler Lobbys am Nasenring durch die Manege geführten Europaabgeordneten ein wahres Fest sein, mal ein Statement abgeben zu dürfen, bei dem alle anerkennend nicken. Gönnen wir ihnen also diesen billigen Triumph.

Natürlich treffen die Europaabgeordneten auch das gesunde Volksempfinden, wenn sie fordern, dass beim Nachweis der Korruption bei der Vergabe der WM an Russland und Katar geschoben worden ist – wer hätte daran auch einen ernsthaften Zweifel? Doch was besagt die Resolution denn? Dass man die FIFA dann auffordert, diese Entscheidungen zu überprüfen, wie es in der Resolution steht? Da haben wir wieder einmal so eine wunderbare politische Erklärung, die niemanden zu nichts verpflichtet, aber so toll klingt, dass man Lust hat zu denken, dass wir von ganz schön guten Leuten im Parlament vertreten werden.

Das Europäische Parlament sollte lieber seine Hausaufgaben machen und auch einmal in den eigenen Reihen gründlich aufräumen. Denn würde man mit dem gleichen Maß messen, dann wären auch die europäischen Institutionen ziemlich schnell unter Korruptionsverdacht. Man denke nur an den Blog des österreichischen EU-Abgeordneten Hans-Peter Martin, der von seinen Kollegen als Nestbeschmutzer geächtet wurde, weil er zwei Jahre lang akribisch jedes unmoralische Angebot von Lobbyorganisationen aufgelistet und veröffentlich hatte – wobei die Angebote von Thai-Massagen über Ferienreisen bis zu wertvollen Geschenken gingen und immer als Gegenleistung ein bestimmtes Abstimmungsverhalten forderten. Insofern sollten sich vielleicht auch die Politiker gut überlegen, ob man wirklich mit Steinen werfen muss, wenn man selbst in einem Glaspalast sitzt…

So oder so – jetzt hatten sie ihre große Stunde der billigen Einigkeit – und jetzt sollte sie niemand mehr davon abhalten, statt des Weltfußballs eben Europa zu retten. Und dabei haben sie mehr als genug zu tun – denn bei dieser Aufgabe stellen sie sich ähnlich geschickt an wie die FIFA beim Versuch, objektive und nicht gekaufte Entscheidungen zu treffen.

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