Das Kreuz mit dem Kreuz
Die Landeszentrale für politische Bildung fragt: "Wen wähle ich und wenn ja wie viele: 3, 4, 5 oder 6 Parteien?"
(MW) – Die Wahl in Baden-Württemberg am 13. März 2016 verspricht die spannendste der ganzen Landesgeschichte zu werden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erhofft sich ein grüner Ministerpräsident mit seinem sozialdemokratischen Koalitionspartner eine Bestätigung vom Wähler. Mit dieser Situation befasst sich hier Dr. Michael Wehner, Leiter der Außenstelle Freiburg der Landeszentrale für politische Bildung und Lehrbeauftragter am Seminar für wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg.
Auch wenn außen- und migrationspolitische Fragen nicht auf Landesebene entschieden werden, das Megathema des Wahlkampfes wird wohl vom F-Wort bestimmt werden: Flüchtlinge und nicht – wie 2011: Fukushima – könnten die Landtagswahl und über das politische Schicksal Winfried Kretschmanns entscheiden. Dabei ist es durchaus möglich, dass die sich selbst als Bürgerregierung bezeichnete grün-rote Koalition eine zweite Legislaturperiode vom Wähler erhoffen kann. Ein beliebter, nahezu über den eigenen Kabinettskollegen schwebender Landesvater und Ministerpräsident Winfried Kretschmann, eine wenig kräftige Oppositionspolitik der trägen und behäbigen CDU, die gute Konjunkturlage und eine pragmatisch unideologische Regierungspolitik führten dazu, dass im Land bis zum heutigen Tage keine große Wechselstimmung zu verzeichnen ist.
Die zunehmende Belastung der Kommunen und die von manchen heraufbeschworenen oder erreichten Grenzen der Integrationsfähigkeit aufgrund der Fluchtbewegungen ließen aber eine Partei mit Namen AFD (Alternative für Deutschland) erstarken, deren politisches Ende durch ihre Spaltung eigentlich schon besiegelt schien. Glaubt man jedoch jüngsten Umfragen scheint ihr Einzug in den baden-württembergischen Landtag ziemlich sicher.
Auch die FDP wird im Stammland des Liberalismus alles daran setzen, um weiterhin im Parlament vertreten zu sein und gemeinsam mit der Union wieder die Regierung bilden zu können. Selbst der erstmalige Sprung der Linken über die 5%-Hürde ist möglich und damit ist – zwar rein hypothetisch – der Fall einer grün-rot-roten Koalition sogar denkbar, auch wenn Ministerpräsident Kretschmann und Wirtschaftsminister Schmid dies ausschließen.
Soviel Ungewissheit wie 2016 war also noch nie vor einer Landtagswahl. Auch wenn Koalitionsarithmetiken und –verhandlungen für die Wähler somit sehr ungewiss und mögliche Parteienbündnisse so unvorhersehbar wie noch nie sind, dürfte es im Interesse jedes Stimmberechtigten liegen zur Wahl zu gehen, unabhängig mit welcher Partei und welchem Lager man sympathisiert.
Selbst von der lange gültigen Theorie eines Lagerwahlkampfes von grün-rot gegen schwarzgelb muss man sich verabschieden, denn vor allem um die Gunst der Sozialdemokraten buhlen sowohl Grüne als auch die CDU. Insofern ist ein Szenario durchaus realistisch, dass die SPD mit dem schlechtesten Wahlergebnis, das sie in der Landesgeschichte je erzielen wird, weiterhin in der Regierung vertreten sein wird.
Eher auszuschließen ist hingegen eine große Koalition von schwarz-grün (auch an diesen Namen mit diesen beiden Parteifarben muss man sich erst einmal gewöhnen. Eine solche Koalition hätte übrigens interessanterweise nach aktuellen Umfragen sogar eine 2/3-Mehrheit im Landtag!). Hingegen scheint eine „umgekehrte Ampelkoalition“ aus Grünen, FDP und SPD aus staatspolitischer Verantwortung realistischer für den Fall, dass die CDU deutlich unter 40% abschneiden würde.
Da alle gerade genannten Parteien eine Koalition mit der AFD ausschließen, wird es für die Regierungsbeteiligung und die „Farben der Regierung“ von entscheidender Bedeutung sein, wie viele Parteien im kommenden Landtag vertreten sein werden (3, 4, 5 oder gar 6) und wie groß die „prozentuale Sperrminorität“ der AFD sein wird.
Für den blass wirkenden Spitzenkandidaten der Union, Guido Wolf, scheint trotz des schlechten Abschneidens im Direktvergleich mit Ministerpräsident Kretschmann der Einzug in die Staatskanzlei in greifbarer Nähe. Und dies obwohl die Verantwortung für eine als zu offen und liberal bewerteten Flüchtlingspolitik ja ursächlich seiner Parteifreundin und Kanzlerin Angela Merkel zugeschrieben wird.
“Regieren in Baden-Württemberg ist von zwei historisch-politischen Rahmenbedingungen geprägt. Dies ist zum einen ein besonders empfindsames Regionalbewusstsein im Gefolge der Konflikte um die Landesgründung und zum anderen die starke Stellung der Landtagsfraktion mit ihren wahlkreisorientierten Abgeordneten.” - Prof. Dr. Gerd Mielke, Universität Mainz.
Besonders schwer vorherzusagen wird der Stimmenanteil sein, den die AFD bei der Wahl im März bekommen wird. Angesichts der Bewertung der AFD als rechtspopulistisch und fremdenfeindlich, getraut sich bei Befragungen nicht jeder, seine Sympathie für diese euro- und zuwanderungskritische Partei zu bekunden, um dann doch die etablierten Parteien am Wahltag abzustrafen. Landtagswahlen gelten bei Politikwissenschaftlern als sogenannte Wahlen zweiter Ordnung, die angesichts ihrer geringeren Bedeutung im Vergleich zur Bundestagswahl gerne von den Stimmberechtigten dazu benutzt werden, den regierenden Parteien – und im diesem Fall der Allparteien-Koalition in Sachen Flüchtlingspolitik – mit Hilfe der AFD einen Denkzettel zu verpassen.
Besonders für die als flüchtlingsfreundlich geltenden Grünen könnte sich diese vom Wähler zu geschriebene Wahrnehmung als Fallstrick erweisen. Besonders tragisch ist dies aus Sicht der Grünen besonders deshalb, da sie in Baden-Württemberg in den Umfragen Höhenflüge und Zuspruch ungeahnten Ausmaßes erfahren und bei noch nie erreichten 27 – 28 % liegen, die vor allem aber zu Lasten des arg schwächelnden Koalitionspartners, der SPD, gehen.
Von entscheidender Bedeutung wird also sein wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird und wen das Thema Zuwanderung besonders motiviert zur Wahl zu gehen. Da Integrationsskepsis eher bei älteren Wählerinnen und Wählern und in ländlichen Gemeinden zu vermuten ist und diese und dort häufiger CDU wählen, wird es vor allem für die Grünen darum gehen, eine Wahlkampagne zu präsentieren, die jüngere Wähler mobilisieren kann. Bei all den Überlegungen und Szenarien sollte allerdings nicht vergessen werden, dass bei Landtagswahlen über die Bilanz einer Landesregierung abgestimmt wird. Es sollte also auch und vor allem darum gehen, seine Wahlentscheidung davon abhängig zu machen, welche Bewertung und Lösungskompetenzen man den Parteien in den typisch landespolitischen Fragen der Bildungs-, Wirtschafts- und Haushalts-, Energie- oder Verkehrspolitik zuweist.
Einen guten Überblick über die Lösungsansätze und Programme der zur Wahl antretenden Parteien bietet die Internetseite der überparteilichen Landeszentrale für politische Bildung www.landtagswahlbw.de und ab 18. Februar das „Parteienvergleichsportal“ www.wahlomat.de. Bedauerlicherweise steht ein Wahlergebnis trotz aller Unwägbarkeiten und Unvorhersehbarkeiten bereits fest. Die Nichtwähler werden leider zahlenmäßig wieder die Wahl gewinnen und die „größte Partei“ stellen. Sie werden aber im Parlament weder Stimme noch Einfluss haben.
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