Die europäische Sozialdemokratie dankt ab

Mit der Ernennung von Frans Timmermans als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten zeigen diese, dass sie nicht mehr verstehen, wie die Politik in Europa tickt. Schade eigentlich.

Der etwas konturlose Frans Timmermans (links) steht für die Fortführung der Politik seines Chefs Jean-Claude Juncker. Schade, dass die Sozialdemokratie immer noch nicht begreift, dass die EuropäerInnen genau das nicht wollen. Foto: EU2016 NL from The Netherlands / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Jo Leinen, SPD-Europaabgeordneter, war begeistert. „Eine hervorragende Wahl“, postete er und freute sich über die Ernennung des  Niederländers FransTimmermans zum Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokratie für die kommende Europawahl. Eine hervorragende Wahl? Wirklich? Merken SPD, PS und die anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa wirklich nicht, wie Politik heute funktioniert? Langsam versteht man, warum es sozialdemokratische Parteien immer schwerer haben, bei Wahlen zweistellige Ergebnisse einzufahren – sie haben sich einfach zu sehr von den Realitäten dieser Welt entfernt. Die Ernennung von Frans Timmermans ist dafür der beste Beweis.

Zahlreiche Berater schwirren um die sozialdemokratischen Spitzenpolitiker herum und offenbar ist keiner von denen in der Lage, seinen Chefs zu erklären, dass Wahlen mehr sind als das Organisieren von Versorgungspöstchen für verdiente Genossen und Genossinnen, die ein Leben lang brav ihrem Parteiapparat gedient haben. Wie Frans Timmermans, der ehemalige niederländische Ministerpräsident, der seit 2014 auf dem Posten des Ersten Vizepräsidenten der Europäischen Kommission sitzt. Mal Hand auf’s Herz – erinnern Sie sich an eine bemerkenswerte Aktion, die dieser Technokrat seitdem geleistet hätte?

Die Ernennung von Timmermans mag die europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten glücklich machen, die 500 Millionen Europäerinnen und Europäer haben damit einen weiteren Grund, NICHT für die sozialdemokratischen Parteien zu stimmen, denn Timmermans steht genau für das, was die Menschen scharenweise in die Arme anderer politischer Formationen treibt: „Augen zu und weiter so“.

Der exzellente Kolumnist Sascha Lobo schrieb auf SPIEGEL ONLINE „Versucht‘s mal mit Sympathie“ und damit drückt er aus, was selbst eingefleischte Sozialdemokraten denken: Die europäische Sozialdemokratie muss sich ein neues Gesicht und vor allem menschennahe Inhalte geben. Und genau das schafft sie nicht – statt eines Aufbruchs zu neuen Inhalten und Innovationen, bestimmen die europäischen Sozialdemokraten einen Spitzenkandidaten, der genau die träge und ineffiziente Brüsseler Technokratie repräsentiert, gegen die inzwischen die Menschen Sturm laufen.

Doch wie kann es sein, dass eine politische Bewegung, die über 150 Jahre alt ist, so völlig unfähig erscheint, sich auf die Realitäten der Welt im frühen 21. Jahrhundert einzustellen? Reichen die Backpfeifen immer noch nicht, die sich sozialdemokratische Parteien inzwischen bei praktisch allen Wahlen einfangen? Die Reaktionen sind immer die gleichen: Am Wahlabend stellen sich bedröppelte Sozialisten und Sozialdemokraten vor die Kameras, erklären, dass man die Message der Wählerschaft verstanden habe, künftig alles besser machen wolle und schon am nächsten Tag übernehmen wieder die Apparatschiks mit ihrem ewigen „wir haben alles richtig gemacht, nur schlecht kommuniziert und deshalb haben die Menschen uns nicht gewählt“ die Zügel.

Dabei eignen sich doch die aktuellen Probleme Europas hervorragend für sozialdemokratische Ansätze. Soziale Ungleichgewichte, Klimawandel, Rechtsextremismus, Altersarmut – alles Themen, die in Deutschland der SPD auf den Leib geschneidert sein sollten. Doch blöderweise haben die Sozialdemokraten aufgrund ihrer permanenten Nabelschau versäumt, diese Themen zu besetzen. Soziale Ungleichgewichte werden inzwischen an den politischen Rändern bearbeitet, von AfD und Die Linke, der Klimawandel wird deutlich glaubwürdiger von den Grünen behandelt, die sich gleich auch noch als das letzte Bollwerk gegen den dumpfen Neonationalismus etabliert haben und auch die Altersarmut wird ausgerechnet von denen nicht bekämpft, die einstmals als die „Partei der Arbeiterklasse“ bezeichnet wurden.

Dass es die europäische Sozialdemokratie immer noch nicht schafft, sich zu erneuern, liegt nicht etwa daran, dass es kein kompetentes Personal gibt. Die deutsche Justizministerin Katarina Barley wäre ein solches, „neues“ Gesicht gewesen, als Frau, Vertreterin einer neuen Generation und überzeugte Europäerin. Auch andere mögliche KandidatInnen wären denkbar gewesen. Wären da nicht die starren Parteiapparate, in denen sich eben immer nur die „alten Krokodile“ durchsetzen – doch genau die sind es, die dafür sorgen, dass die Menschen nicht mehr sozialdemokratisch wählen. Insofern frisst sich die Sozialdemokratie tatsächlich selber auf.

Die Ernennung von Frans Timmermans weist darauf hin, dass die Sozialisten und Sozialdemokraten in Europa offenbar ihr Schicksal akzeptieren und gemeinsam den Weg in die politische Bedeutungslosigkeit gehen wollen. Bis sie dann tatsächlich irgendwann an Wahlabenden unter „Andere“ erscheinen, sorgt man eben dafür, dass der eine oder andere noch Gelegenheit hat, sich saftige Rentenansprüche zu sichern, wie beispielsweise Herr Timmermans. In einer Zeit, in der Europa so dringend sozialdemokratische Konzepte bräuchte, ist die Ernennung von Frans Timmermans eine Ohrfeige für jeden, der gerne den Aufschwung der Rechtsextremen in Europa stoppen würde, der sich soziale Gerechtigkeit wünscht und der von einem solidarischen Europa träumt. Doch offenbar bestätigt sich hier der alte Satz „nichts ist für die Ewigkeit bestimmt“. Nicht einmal die Sozialdemokratie.

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