Die falsche Debatte zum falschen Zeitpunkt

Annalena Baerbock will die EU erweitern und reformieren. Dass die europäischen Institutionen kaum noch funktionieren, blendet sie einfach tapfer aus.

Irgendwie den Realitäten entrückt - Annalena Baerbock. Foto: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Dass Annalena Baerbock unbedingt die Ukraine in die EU führen will, ist bekannt, auch wenn nur schwer verständlich ist, warum es so dringend sein soll, eines der korruptesten Länder des Kontinents überstürzt in die EU zu bringen. Das Argument, dass Putin ansonsten mit seinen Horden Europa überrollen würde, kann dabei nicht zählen, denn die Welt sieht heute die Probleme, mit denen die russische Armee in der Ukraine konfrontiert ist. Dass Russland gar nicht in der Lage wäre, weitere europäische Länder anzugreifen, erkennt man in der Ostukraine, wo die Front seit bald einem Jahr festgefahren ist. Aber damit sie die Ukraine in die EU bekommen kann, ist Annalena Baerbock aber bereit, eine neue Erweiterungswelle loszutreten, obwohl die EU bereits heute faktisch nicht mehr handlungsfähig ist.

Bei einer Sitzung mit zahlreichen europäischen Außenministern in Berlin stellte Annalena Baerbock ihre Vision einer zukünftigen EU vor. Zentraler Satz: „Wir wollen die Ukraine als Mitglied unserer Europäischen Union. Und ich bin überzeugt, dass auch der Europäische Rat im Dezember dieses Signal geben wird.“ Nur – wer ist „wir“? Wer sich die EU genauer anschaut, der kann gar nicht wollen, dass die EU erweitert wird, denn vor einer Erweiterung müsste die sich ständig selbst lähmende EU erst einmal von Grund auf reformiert werden. Diese Ansicht teilt Annalena Baerbock durchaus, ohne allerdings konkret zu sagen, wie solche Reformen aussehen sollten.

Stattdessen gibt es, wie immer, Slogans und leere Floskeln. So ist eine EU-Erweiterung für die deutsche Außenministerin eine geopolitische Notwendigkeit. Die Erklärung: „Wladimir Putin wird weiter versuchen, einen imperialen Graben durch Europa zu pflügen, der nicht nur die Ukraine von uns trennen soll, sondern auch Moldau, Georgien und den westlichen Balkan“. Also, alle ‘rein in die nicht funktionierende EU, die zu den aktuellen Weltkrisen keine gemeinsamen Positionen auf die Reihe bekommt, in der einige Mitglieder engste Kontakte zu eben diesem Putin pflegen, in der es inzwischen auch Mitglieder gibt, die keine Lust mehr haben, den auf Jahre festgefahrenen Krieg in der Ukraine zu finanzieren?

Damit das Ganze nicht nur als Bonbon für die Ukraine aussieht, will Annalena Baerbock auch noch möglichst schnell neben den offiziellen Beitrittkandidaten Ukraine und Moldau die Länder Montenegro, Albanien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien in die EU bringen, während ein Beitritt der Türkei nun wohl endgültig abgehakt ist, nachdem sich Erdogan eindeutig auf die Seite der Hamas geschlagen hat und den Europäern ständig droht.

Nichts gegen die Balkan-Länder, deren Beitritt zur EU für Annalena Baerbock so wichtig ist. Aber gibt es momentan nicht wichtigere Themen, zu denen die EU bereits heute nicht in der Lage ist, gemeinsame Positionen zu entwickeln? Weder zum Ukraine-Krieg, noch zur Lage in Israel und Gaza, auch nicht zur Energie-, Flüchtlings- und Klimakrise schafft es die EU, gemeinsame Standpunkte zu definieren. Warum also sollte das in einer EU mit 35 Mitgliedsstaaten einfacher sein als in einer nicht funktionierenden EU mit 27 Mitgliedsstaaten?

Doch zurück zur Frage, wer eigentlich „wir“ sind, in deren Namen Annalena Baerbock zu sprechen glaubt. Eine inzwischen weitgehend gelähmte EU zu erweitern, sollte nicht von einer Handvoll den Wirklichkeiten entrückter Politiker entschieden werden, sondern von den 500 Millionen Europäern und Europäerinnen, die für solche Entscheidungen bezahlen müssen.

Es gibt momentan wesentlich dringendere Themen, mit denen sich die EU beschäftigen sollte. Zum Beispiel mit der Frage einer europäischen Position im Israel/Gaza-Konflikt; zum Beispiel mit der Frage, warum die EU weiterhin Putins Kriegskasse füllt; zum Beispiel mit der Frage, warum die EU weiterhin Milliarden an korrupte Regimes in Afrika bezahlt, in der vagen Hoffnung, diese würden Flüchtlinge von der Flucht nach Europa abhalten; zum Beispiel mit der Frage, wie man Länder wie Ungarn aus der EU herausbekommt; zum Beispiel mit der Frage, wie man den galoppierenden Klimawandel in den Griff bekommen kann; zum Beispiel mit der Frage, wie die Korruption in den europäischen Institutionen bekämpft wird. Ob angesichts dieser Probleme die Debatte um eine erneute EU-Erweiterung sinnvoll ist, das ist mehr als fraglich.

Der 9. Juni 2024 wird ein historisches Datum werden, denn an diesem Tag werden die Menschen in Europa den Mächtigen dieses Kontinents bei der Europawahl mitteilen, was sie von ihrer „Performance“ halten. Dabei muss man mit einer historisch geringen Wahlbeteiligung rechnen und auch damit, dass künftig zum ersten Mal eine europakritische Mehrheit im Europäischen Parlament das Sagen hat.

Bis dahin ist nur eines sicher: Die EU wird keines der momentanen Probleme auch nur ansatzweise gelöst haben. Und sicher auch nicht mit der von Annalena Baerbock so sehr gewünschten EU-Erweiterung. Was waren das für Zeiten, als Deutschland noch „richtige“ Außenminister hatte…

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