Die USA verraten die Kurden – und Europa schaut zu

Mit der Unterstützung eines türkischen Militärschlags gegen die Kurden wirft Donald Trump diese dem türkischen Präsidenten Erdogan zum Fraß vor. Und Europa schaut einmal mehr weg.

Aus Tel Abyad haben sich die Amerikaner bereits zurückgezogen, um den Weg für die türkische Armee freizumachen. Foto: Voice of America / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Vielleicht sollte man sich noch einmal in Erinnerung rufen, dass weder die syrische Armee des Diktators al-Assad, noch die Russen, noch die Amerikaner in der Lage waren, den Siegeszug des mörderischen Islamischen Staats zu stoppen – das schafften alleine die kurdischen Kämpfer und Kämpferinnen, die unter hohen Verlusten das Kalifat stoppten und militärisch besiegten. Ohne die Kurden hätte sich das Kalifat in Syrien und darüber hinaus weiter ausbreiten können. Als Dankeschön geben die USA nun grünes Licht für einen türkischen Militärschlag gegen kurdische Stellungen im Norden Syriens und überlassen damit faktisch den Norden Syriens dem türkischen Präsidial-Diktator Recep Tayyip Erdogan, dessen seit Jahren andauernder Krieg gegen die Kurden damit eine neue Wendung erhält. Und Europa? Europa möchte unbedingt, dass die Türkei syrische Flüchtlinge von Europas Küsten fernhält und schaut daher betreten weg. Jetzt, wo die Kurden den IS besiegt haben, braucht man sie nicht mehr – Erdogan hat freies Feld für die Fortsetzung des Genozids am kurdischen Volk.

Donald Trump hat verkündet, dass er eine türkische Militäroperation im Norden Syriens unterstützt, was nicht mehr und nicht weniger als ein brutaler Verrat an den ehemaligen kurdischen Waffenbrüdern darstellt – die haben für die USA und die ganze westliche Welt den IS gestoppt und werden nun den geopolitischen Interessen der USA und der Türkei geopfert.

Die Änderung der Haltung der USA, die plötzlich die Einstellung Ankaras teilen, nach der die Kurden „terroristische Aufständische“ sind, ist mehr als seltsam – und ganz nebenbei stärkt Donald Trump damit die Präsenz der Türkei und deren Verbündeten Iran und Russland in Syrien, was ein sicheres Mittel ist dafür zu sorgen, dass es in Syrien auf lange Zeit hinaus keine Chance auf Frieden gibt.

Nach Angaben der „New York Times“ fand ein Gespräch zwischen Donald Trump und Recep Tayyip Erdogan statt, bei dem sich die beiden darauf einigten, dass die rund 150 im Norden Syriens stationierten US-Militärs vor dem Anrücken der türkischen Armee zurückgezogen werden, um nicht in die Gefechte verwickelt zu werden. Viel zynischer geht es kaum noch. Und nach Augenzeugenberichten hat dieser Rückzug bereits begonnen: Am Montag haben sich die USA von den beiden Beobachtungsposten in Tel Abyad und Ein Eissa zurückgezogen.

Durch das Ende des Schutzes der kurdischen Verbündeten gegen die türkische Bedrohung begeht Donald Trump einen offenen Verrat. Nicht nur, dass er die „lange geplante Operation“ [der Türken] in Nordsyrien geschehen lässt, er entzieht damit den Kurden den politischen Schutz gegen die türkische Aggression – Erdogan kann nun in Nordsyrien schalten und walten, wie er will. Dass Trump dabei behauptete, es seien US-Truppen gewesen, die das „Kalifat“ besiegt haben, ist eine weitere Beleidigung der Kurden – sie waren es, die den IS militärisch in die Knie gezwungen haben.

Bereits im letzten Jahr wollte Trump die US-Truppen aus Syrien abziehen, ließ sich aber dann von den wenigen noch verbliebenen vernünftigen Beratern umstimmen. Dass er jetzt praktisch das gleiche wieder tut, zeigt, wie beratungsresistent dieser amerikanische Präsident ist.

Der ganze Vorgang ist auch von türkischer Seite aus zu betrachten. Nicht nur, dass Erdogan jedes Mittel Recht ist, um gegen die Kurden vorzugehen, deren Siedlungsgebiete sich in der Osttürkei, im Irak und in Syrien befinden, dazu wird der türkische Präsidial-Diktator auch weite Gebiete im Norden Syriens annektieren, in die dann die vielen (rund 3,5 Millionen) in die Türkei geflüchteten syrischen Flüchtlinge geschickt werden können und damit werden die nächsten humanitären Katastrophen vorprogrammiert.

Nachdem es eine Weile fast ruhig um Syrien geworden war, seitdem der IS besiegt wurde, heizt Trump damit sämtliche Konflikte in dieser Region wieder an. Sollte sein Ziel sein, der US-Waffenindustrie einen Gefallen zu tun, könnte er sich nicht geschickter anstellen.

Und was sagt Europa dazu? Europa hält sich bedeckt. Erst vor wenigen Tagen war Heimat-Horst Seehofer in die Türkei gereist, um den „lieben türkischen Freunden“ jede auch nur denkbare Unterstützung zuzusagen. Wenn der Preis für das Fernhalten von Flüchtlingen ist, dass man einen erneuten Völkermord duldet, dann tut man das eben. Es gäbe viele Möglichkeiten, den europäischen Nachbarn Türkei zu räsonieren, doch das steht weder auf der amerikanischen, noch auf der europäischen Agenda. Stattdessen hörte man gestern einzelne Regierungen, die sowohl die USA als auch die Türkei vor den bereits angelaufenen Operationen warnten, doch weder die Bundesregierung noch andere Regierungen haben alleine das Gewicht, eine solche Operation stoppen zu können. Die aus einzelnen europäischen Ländern kommenden „Warnungen“ dürften in Ankara und Washington eher Heiterkeit ausgelöst haben.

Nur – wozu haben wir ein institutionelles Europa, wenn dies regelmäßig in den wichtigen Fragen unserer Zeit versagt? Ganz offensichtlich sind die Europäer im Vorfeld von Trumps Entscheidung nicht konsultiert worden. Warum auch? Die Europäische Union wird weltweit seit geraumer Zeit nur noch als Markt betrachtet, frei von jedem politischen Gewicht. Da kann man dann auch schon mal zum Völkermord in unserem Vorgarten schweigen, wenn dieser unsere Interessen befördert. Doch während Donald Trump verantwortungslos, Europa hilflos, Russland interessenlos agieren, schaltet Erdogan einen Gang hoch. Und er wird nicht aufhören, bevor er keine „Endlösung“ für die kurische Frage organisiert haben wird. Ob „Zuschauen“ für Europa dabei das richtige Vorgehen ist?

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