Die Zeit der leeren Slogans ist vorbei
Europa ist in einer tiefen Krise. Doch von Seite der Politik kommen nach wie vor nur leere Slogans, mit denen man diese Krise allerdings nicht mehr bewältigen kann. Wenn sich Europa nicht neu erfindet, fährt es an die Wand.
(KL) – „Wir brauchen mehr Europa!“, „Wir brauchen ein Europa der Bürger!“, „Wir müssen Europa reformieren!“ – diese und andere Sprüche hört man seit Monaten, seit Jahren von den Politikern aller Couleur. Doch was sind eigentlich die europäischen Werte, was ist die „europäische Lebensart“, für die es künftig sogar einen eigenen EU-Kommissar geben wird? Und wer arbeitet an den dringend erforderlichen Reformen der europäischen Institutionen?
Europa ist ein prächtiges Wahlkampfthema. Für die einen ist Europa der perfekte Sündenbock, für die anderen ist es eine Art Heilsversprechen und beide haben Unrecht. Zwar können sich alle darauf verständigen, dass „Europa“ dafür gesorgt hat, dass wir auf dem alten Kontinent die längste Phase des militärischen Friedens erleben, die er je gesehen hat, doch damit hören die „europäischen Werte“ auch schon auf.
Spätestens seit dem Brexit-Referendum 2016 in Großbritannien hätten eigentlich alle hellhörig werden und sehen müssen, dass das aktuelle institutionelle Europa ausgedient hat. Diese Feststellung trafen dann zwar auch viele Europa-Politiker, doch seltsamerweise sah sich niemand veranlasst, ernsthaft an einer Reform der Institutionen zu arbeiten. Wenn das nicht schleunigst passiert, werden wir in der nächsten Legislaturperiode das Auseinanderbrechen der EU erleben, die dabei ist, sich selbst überflüssig zu machen und durch ihre teilweise lächerlichen Auftritte in der internationalen Politik den Neonationalisten in Europa mächtig Rückenwind beschert.
Einig ist man sich auf Ebene der europäischen Politik eigentlich nur dann, wenn es darum geht, die Interessen von Big Business zu vertreten. Die Banken haben sich verzockt? Dann retten wir sie eben mit 1000 Milliarden Euro, kein Problem. Von Klimaschutz reden und die Abgasnormen für deutsche Minivans erhöhen? Gerne. Die Nutzung von Umweltgiften autorisieren? Wenn es denn Arbeitsplätze in der chemischen Industrie sichert, herzlich gern. Mit diktatorische Regimes zusammenarbeiten, um Flüchtlinge von Europas Küsten fernzuhalten, na klar! Den amerikanischen Geheimdiensten Zugriff auf die persönlichen Daten der Europäerinnen und Europäer gewähren? Logo! Den größten Unternehmen weltweit Steuerschlupflöcher in Europa organisieren? Machen wir, kein Thema!
Andererseits ist das institutionelle Europa nicht Willens und in der Lage, seinen humanistischen Auftrag zu erfüllen. Whistleblowern wie Julian Assange oder Edward Snowden Schutz gewähren? Wo kämen wir da hin? Die Zivilgesellschaft stärker in den politischen Prozess einzubinden? Nee, lieber nicht. Gemeinsam den Neofaschismus bekämpfen, der wieder durch ganz Europa schleicht? Um Gottes Willen, bloß nicht! Statt Banken mit Milliarden zu retten die Armut in Europa bekämpfen? Nein, denn die 15 – 20 % Armen in Europa sind ein schönes Druckmittel, das es erlaubt, im Sinne des Schutzes von Arbeitsplätzen dem großen Kapital Geld hinterherzuwerfen, ohne dass sich jemand aufregt!
Wofür die Politiker eigentlich stehen, die alle von „Europa“ reden, ist nicht erkennbar. Wer kann schon sagen, welches Europa CDUSPD und die anderen wollen? Das neoliberale Europa, von dem in erster Linie Deutschlands Aktionäre profitieren? Ein soziales, gerechtes Europa, in dem das Geld nicht für Geschenke für die Superreichen verbraten, sondern für Sozialprogramme ausgegeben wird? Ein friedliches Europa oder das Europa der Schreibtischtäter und Waffenhändler?
Was wir heute brauchen, ist eine europaweite Konzertierung in der Bevölkerung, eine klare Definition dessen, was Europa eigentlich sein soll und wie man dorthin kommt. Europa muss mehr werden als eine riesige Verwaltung (alleine in der Europäischen Kommission arbeiten 32.000 Beamte…), die nicht in der Lage ist, mit einer Stimme zu sprechen, da es schier unmöglich ist, zu den drängenden Fragen unserer Zeit eine Einstimmigkeit zu erzielen.
Der Brexit zeigt, wieviel Kredit die europäischen Institutionen inzwischen verspielt haben und in vielen anderen Ländern haben diejenigen Rückenwind, die ihre Länder ebenfalls aus der EU herauslösen wollen. Es ist unverzichtbar, endlich mit den inzwischen sinnentleerten Slogans aufzuhören und daran zu arbeiten, Europa und seine Institutionen wirklich zu reformieren. Andernfalls sind das Auseinanderbrechen Europas und die Rückkehr zu den Nationalstaaten unvermeidlich – und Europa würde dann auf das Niveau vor dem II. Weltkrieg zurückfallen.
Europa muss mit der Stimme der 500 Millionen Europäerinnen und Europäer reformiert werden, Europa muss den Weg zurück zu echten Werten finden, Europa muss aufhören, willfähriger Erfüllungsgehilfe des großen Kapitals zu sein und das alles muss schnell passieren. Denn ansonsten schafft sich Europa tatsächlich selber ab.
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