Die Europäische Union verliert im Kampf um die Rechtsstaatlichkeit

Was in Brüssel als „Erfolg“ gefeiert wird, nämlich der Haushalts-Kompromiss mit Ungarn und Polen, ist alles andere als ein Erfolg. Dieser „Kompromiss“ ist das Eingeständnis, dass die EU nicht mehr funktioniert.

Unglaublich, wie Ungarn und Polen im Alleingang die "europäischen Werte" abschaffen. Und die EU feiert das als "Erfolg"... Foto: European People's Party / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die EU geht vor Ungarn und Polen in die Knie. Um eine monatelange Blockade des EU-Haushalts durch Budapest und Warschau zu vermeiden, geht man einen Kompromiss ein, der es Ungarn und Polen weiterhin erlaubt, gegen die Prinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zu verstoßen, ohne finanzielle Einbußen hinsichtlich der EU-Subventionen befürchten zu müssen. Das ist kein „Erfolg“, sondern ein weiterer Schritt hin zur Abschaffung von Europa. Zumindest des Europas, das sich die Menschen wünschen. Doch was zählen schon die Menschen in Europa – Hauptsache, Banken, Finanzjongleure und Diktatoren fühlen sich in Europa wohl und werden großzügig mit Geldern bedacht. Noch nie zuvor befand sich die EU in einer tieferen Sinnkrise – und das, was uns als „Erfolg“ verkauft wird, ist nichts anderes als das Eingeständnis der politischen Ohnmacht. Ein Erfolg?

Kein Wunder, dass Ungarn und Polen in ihren Medien ihren „Brüsseler Erfolg“ feiern. Darin sind sich beide Länder auch mit den anderen Mitgliedsstaaten einig – der Haushalts-Kompromiss ist ein Erfolg. Doch um diese politische Bankrotterklärung als „Erfolg“ zu feiern, muss man schon sehr seltsam denken. Ist es ein Erfolg, dass Ungarn und Polen (und andere) künftig weiter gegen die heiligsten Prinzipien der Demokratie verstoßen können, ohne dabei zumindest finanzielle Einbußen befürchten zu müssen? Das ist kein Erfolg, sondern ein Blankoscheck für alle, denen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nichts bedeuten, also für die Gegner der europäischen Demokratie. Ein Erfolg?

Der „Kompromiss“ ist eine Schande. Er sieht vor, dass beide Länder gegen eine Kürzung ihrer Zuwendungen vor beim Europäischen Gerichtshof klagen können. Inwiefern das ein „Erfolg“ sein soll, ist unklar, denn auch so kann jedes Land Klage vor dem EuGh einreichen. Und vor allem – eine solche Klage stoppt oder verzögert die Auszahlung vorgesehener Beträge NICHT. Hierzu ist ein entsprechendes Urteil des EuGh erforderlich und man muss kein Jurist sein um zu verstehen, dass sich ein solches Verfahren über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte ziehen würde. Und bis es dann zu einem Urteil kommt, beziehen Ungarn und Polen weiterhin die Gelder aus Brüssel, mit denen sie weiter arbeiten können. Unter anderem an der Abschaffung der Rechtsstaatlichkeit. Ein Erfolg?

Faktisch haben Ungarn und Polen die gesamte EU in Geiselhaft genommen. Denn man darf nicht vergessen, dass der 1,8 Billionen Euro schwere Haushalt für die neue Legislaturperiode auch 750 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe für die am härtesten von der Covid-Krise betroffenen EU-Mitgliedsstaaten beinhaltet, die so lange nicht ausgezahlt werden können, bis der Haushalt verabschiedet ist. Durch ihr Veto haben Polen und Ungarn dies bisher verhindert. Etwas härter ausgedrückt, könnte man das Verhalten beider Länder auch als „Erpressung“ oder „Geiselnahme“ bezeichnen. Dass Ungarn und Polen damit auch noch durchkommen, ist ein schlimmes Zeichen. Ein Erfolg?

Die Nachricht, die dieser „Kompromiss“ an alle 27 EU-Mitgliedsstaaten aussendet, ist fatal. „Ihr könnt gegen alle demokratischen, rechtsstaatlichen und humanistischen Grundwerte verstoßen und bekommt trotzdem unsere Subventionen“. Diese „Grundwerte“ sind das, was man allgemein als die „europäischen Werte“ bezeichnet, also das, was alle Politiker und Politikerinnen von links nach rechts in jedem Wahlkampf anführen. Und diese „europäischen Werte“ sind offenbar das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt stehen. Ein Erfolg?

Nun rächt sich, dass wir immer wieder Menschen in Parlamente wählen, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen und für diese nicht qualifiziert sind. Nach dem „Brexit“-Referendum 2016 hatten alle politischen Kräfte Europas unter dem Schock des Abstimmungsergebnisses verkündet, man wolle sofort anfangen, an einem „neuen politischen Projekt für Europa“ zu arbeiten – was dringend erforderlich gewesen wäre. Doch stattdessen wurden erneut vier Jahre verschwendet und es zeichnet sich ab, dass der „Brexit“ nicht der letzte Ausstieg eines Staats aus dem europäischen Staatenbund sein wird, der immer häufiger beweist, dass er nur noch funktioniert, wenn es darum geht, als Erfüllungsgehilfe der Finanzmärkte zu agieren. Und als Unterstützer für die Despoten dieser Welt. Ein Erfolg?

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