Ein höchst interessantes Interview

Der US-Journalist und Trump-Unterstützer Tucker Carlson hat Wladimir Putin interviewt. Ein Interview, das sehr umstritten und trotzdem sehr wichtig ist.

Trump-Lautsprecher Tucker Carlson führte ein interessantes Interview mit Wladimir Putin. Der somit in den US-Wahlkampf eingreift. Foto: DonkeyHotey / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Seit 2021 hat Wladimir Putin keinem westlichen Medium mehr ein Interview gegeben. Dass er dies nun ausgerechnet mit Trump-Unterstützer Tucker Carlson tat, ist eine Nachricht an die amerikanischen Wähler – „mit dem Trump-Lager sind wir bereit zu sprechen“. Dies ist eine Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf zugunsten von Donald Trump, womit Hillary Clintons Kommentar bestätigt wird, dass Tucker Carlson der „nützliche Idiot“ Putins ist. Und dennoch lohnt es sich sehr, dieses lange Interview anzuhören, denn wer verstehen will, was Russland in der Ukraine macht, der muss verstehen, was den russischen Präsidenten antreibt. Auch, wenn das Interview tatsächlich sehr lang ist, so ist es sehr lohnenswert, es anzuhören.

Zum Auftakt des Interviews ergeht sich Putin in einem halbstündigen Diskurs über die Entstehung des russischen Reichs und die Entwicklung in den Nachbarländern, der darin gipfelt, dass Putin der Ukraine mehr oder weniger direkt die Existenz abspricht und betont, dass das, was die Ukraine ausmacht, im Grunde alles von Russland kommt. Diese Nicht-Anerkennung des ukrainischen Staats ist ein wichtiger Punkt, wenn man verstehen will, warum Russland meint, das Recht zu haben, in die Ukraine einzumarschieren. Doch dieser historische Diskurs mit Schlüsseldaten wie 1654 ist ähnlich sinnvoll und zielführend wie die Diskussionen um die Besitzverhältnisse des Landes in Gaza. Man kann heutige Aktionen nur schwer mit Umständen rechtfertigen, die 500 Jahre zurückliegen. Dennoch ist hilfreich zu verstehen, welchen Blick Russland auf die Ukraine hat.

Hoch interessant waren danach Putins Einlassungen zu der Frage, wie sich die Beziehungen zu den USA, zu Europa, zur Ukraine seit den 90er Jahren entwickelt haben. Bereits damals wollte Russland Garantien dafür haben, dass die Ukraine kein Mitglied der NATO wird, die sich in mehreren Schritten und entgegen aller westlichen Zusagen immer weiter nach Osten ausdehnte. Sogar ein Beitritt Russlands zur NATO wurde damals diskutiert, doch letztlich von Präsident Clinton abgelehnt. Dies ist dokumentiert, ebenso wie der Austausch zwischen der russischen Administration und der CIA, die fast bedauernd erklärte, dass man mit der russischen Opposition kooperieren müsse.

Dieser Part macht nachdenklich, denn er zeigt auf, dass sich Russland jahrelang um ein anderes Verhältnis zum Westen bemüht hatte, was von den verschiedenen Präsidenten der USA systematisch zurückgewiesen wurde. Durch die gleichzeitige Ost-Erweiterung der NATO wurde eine Situation geschaffen, vor der bereits der deutsche Außenpolitiker Egon Bahr gewarnt hatte – mit der NATO im Vorgarten würde Russland eines Tages reagieren. Was dann auch passierte.

Ebenfalls interessant die Aussagen Putins, dass Russland keinerlei Interesse an einer Ausweitung des Kriegs etwa auf Polen oder Litauen habe. Wie glaubwürdig diese Aussagen sind, lässt sich nicht feststellen, doch scheint auch Putin klar zu sein, dass ein Angriff auf ein NATO-Land eine Eskalation zur Folge hätte, die niemand mehr kontrollieren könnte.

Auch Putins Erklärung, dass im März 2022 die Friedensverhandlungen in Istanbul praktisch durch waren, bis die Ukraine, unter anderem auf britischen Druck, die Verhandlungsergebnisse verwarf und sich für den militärischen Widerstand entschied. Dies wurde zuletzt durch den damaligen ukrainischen Verhandlungsführer bestätigt und wirft in der Tat viele Fragen auf.

Auch die Frage des in Russland inhaftierten amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich sprach Tucker Carlson an, doch Putin erklärte, der Journalist wäre in flagranti bei der Beschaffung vertraulicher Informationen erwischt worden (was im Übrigen der Job eines Journalisten ist…), doch sei Russland bereit, über seine Freilassung zu verhandeln. Wie hoch der Preis für diese Freilassung wäre, sagte Putin nicht.

Putin nutzte die Gelegenheit, sich als verhandlungsbereiter, um den Weltfrieden besorgter Staatenlenker zu präsentieren. Doch Tucker Carlson, der ansonsten ein unangenehmer Trump-Unterstützer ist, der sich oft der Trump-Sprache bedient, um seinen Landsleuten klarzumachen, dass sie den falschen Präsidenten haben und in „Sklaverei“ leben, hat seinen Job in diesem Interview gut gemacht. Er versuchte, von Putin dessen Beweggründe für die Invasion in der Ukraine zu erfahren und das gelang weitgehend. Dass er den russischen Präsidenten nicht mit Angriffen überzog, ist auch klar. Und bei uns ist das nicht anders. Wer in Frankreich oder Deutschland den Regierungschef interviewt, muss auch im Vorfeld die Fragen einreichen und es gibt Fragen und Themenkomplexe, die unsere so freien Medien nicht ansprechen dürfen. Insofern war dieses Interview nicht viel anders als ein Interview mit einem westlichen Staatschef. Und Tucker Carlson, anders, als viele das im Vorfeld dachten, bescherte Putin nicht unbedingt eine Propaganda-Plattform, sondern er führte ein ernsthaftes Interview.

Von Putins Seite her war dieses Interview nicht nur eine Gelegenheit zu seiner Erklärung, sondern auch eine klare Unterstützung des Trump-Lagers für die kommende US-Wahl. Dies liegt natürlich in Putins Interesse, weigert sich doch Trump weiterhin den Krieg in der Ukraine zu unterstützen. Ein Wahlsieg von Donald Trump wäre gleichbedeutend mit einem militärischen Sieg Russlands in der Ukraine.

Sehr beunruhigend ist allerdings die russische Position, die der Ukraine das Existenzrecht abspricht. Putin ging selbst so weit, dass er „Verständnis“ für ungarische Gebietsforderungen im Süden der Ukraine hat, was geradezu nach einer Einladung an Viktor Orban klingt.

Man mag dieses Interview bewerten, wie man will, doch von einem journalistischen Standpunkt aus ist es weitaus interessanter, MIT Putin zu sprechen, als ÜBER Putin zu sprechen. Dass Putin mit diesem Interview die bislang wohl wirkungsvollste Einmischung in den US-Wahlkampf hingelegt hat, ist der einzige Vorwurf, den man Tucker Carlson machen kann. Und es wäre trotz allem an der Zeit, dass man auch im Westen darüber nachdenkt, was man seit 2008 alles falsch gemacht hat, welche Zusagen man gebrochen hat und was alles zu der Eskalation in der Ukraine geführt hat, die 2014 begann.

Verhandlungen mit Russland, die so oder so irgendwann stattfinden müssen, können nicht einseitig verlaufen, sondern der Westen muss auch darüber nachdenken, wie man westliche und russische Interessen unter einen Hut bringt. Das hat man viel zu lange übersehen, wie es deutlich in diesem Interview erkennbar wird. Bis dahin wird das Gemetzel in der Ukraine wohl ungebremst weitergehen.

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