Erdogan dreht durch

Bei einer Rede in Esiksehir verkündete der türkische Präsidial-Diktator Recep Tayyip Erdogan, dass er seinen Außenminister angewiesen habe, 10 westliche Botschafter des Landes zu verweisen.

Osman Kavala (Vordergrund) bei der 100-Jahr-Gedenkveranstaltung für den Völkermord an den Armeniern. Foto: Janbazian / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Was haben Deutschland, Frankreich, die USA, Kanada, Finnland, Dänemark, Norwegen, Schweden, die Niederlande und Neuseeland gemein? Die Botschafter dieser Länder in der Türkei sollen allesamt zur „Persona non grata“ erklärt und folglich des Landes verwiesen werden. Hintergrund ist, dass diese Länder die Freilassung des seit 2017 inhaftierten Osman Kavala fordern, der seit 2019 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg hätte freigelassen werden. Einmal mehr bettelt Erdogan um den Ausschluss aus der NATO und die Ächtung seines Regimes durch die internationale Gemeinschaft.

Die Ankündigung Erdogans entnahmen die betroffenen Länder aus den Medien und bemühen sich seitdem um Klarheit. Dabei ist die Ausweisung eines Botschafters ein diplomatisch extrem schwerwiegender Vorgang, der nicht folgenlos bleiben kann.

Bei dieser erneuten diplomatischen Eskalation geht es um den in Istanbul inhaftierten und in Paris geborenen Osman Kavala, einen aus einer Tabak-Dynastie stammenden Milliardär, der dem „Sultan vom Bospurus“ aufgrund seiner demokratischen Einstellungen und Aussagen ein Dorn im Auge ist. Seit 2017 sitzt Kavala in Untersuchungshaft, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bereits 2019 seine sofortige Freilassung verfügt hatte – doch die Türkei setzt dieses Urteil nicht um.

Es war schon fast ein wenig ruhig um Recep Tayyip Erdogan geworden, dessen Land gerade mehrere schwere Krisen durchlebt. Die Türkei ist schwer von der Covid-Krise getroffen worden, erlebt gerade eine Art wirtschaftlichen Zusammenbruchs und leidet ebenfalls unter der Flüchtlingskrise, wobei man feststellen muss, dass Erdogan die durch sein Land kommenden Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan als Verhandlungsmasse mit dem Westen benutzt hat. Dazu führt er weiterhin seinen Krieg gegen die Kurden, die der Westen schmählich im Stich gelassen hatte, nachdem diese stellvertretend für alle anderen Länder erfolgreich den „Islamischen Staat“ in Syrien bekämpft hatten. All diese Probleme hat Erdogan nicht im Griff und da liegt die Vermutung nahe, dass er versucht, mit der Ankündigung der Ausweisung von 10 westlichen Botschaftern von diesen innenpolitischen Themen abzulenken.

Osman Kavala sitzt seit vier Jahren in Untersuchungshaft in Istanbul, da er die Gezi-Bewegung unterstützt und am Gedenken des von Ankara immer noch geleugneten Genozids an den Armeniern teilgenommen hatte und von Erdogan als gefährlicher Opponent betrachtet wird. Denn Kavala verfügt über die Mittel, eine politische Opposition gegen die von Erdogan eingerichtete Präsidial-Diktatur aufzubauen. 2019 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dass die Anschuldigungen gegen Kavala haltlos sind und ordnete seine Freilassung an. Doch Urteile aus Straßburg interessieren Erdogan nicht – und Kavala sitzt weiterhin in Haft.

Erdogans Strategie ist einfach. Dem Präsidial-Diktator ist natürlich völlig klar, dass die Ausweisung der Botschafter aus 10 einflussreichen Ländern nicht ohne Antwort bleiben wird. Nicht nur, dass im Gegenzug auch die türkischen Botsschafter in diesen Ländern unter Druck geraten werden, dazu wird es vermutlich erneut Sanktionen geben, die Erdogan allerdings ermöglichen werden, die Unzufriedenheit seiner Bevölkerung mit seiner Regierung zu Hassausbrüchen gegen diese 10 Länder zu kanalisieren, um so von seinem eigenen Versagen abzulenken.

Sollte Erdogan keine 180 Grad-Kehrtwende vollziehen, bleibt den westlichen Ländern gar nichts anderes übrig, als das ganze Arsenal an Sanktionen auszupacken, das ihnen zur Verfügung steht. Wirtschaftssanktionen, Tourismus-Boykott, (temporärer) Ausschluss aus allen internationalen Gremien – da gibt es eine ganze Menge Dinge, die Erdogan wehtun könnten. Das allerdings setzt voraus, dass die internationale Gemeinschaft es nicht bei Drohgebärden belässt, sondern entschlossen handelt und sich nicht weiter vom „Sultan vom Bosporus“ auf der Nase herumtanzen lässt.

Man darf gespannt sein, wie sich die Lage weiter entwickelt und ob Erdogan es tatsächlich darauf ankommen lässt, sich international zu isolieren und seinem Volk weiter Belastungen durch die bereits angekündigten Sanktionen aufzubürden. Die Türkei, traditioneller Verbündeter des Westens, wird diesen Status sicherlich eines Tages wiedererlangen. Sobald Recep Tayyip Erdogan nicht mehr an der Macht ist.

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